"Gen V": Lohnt sich die Spin-Off-Serie zu "The Boys"?
Von Manuel Simbürger
In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und fragen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?
Diesmal: (Die erste Folge von) "The Boys: Gen V" auf Amazon Prime Video.
Schon lange ist vom "The Boys"-Spin-Off "Gen V" die Rede, die Erwartung der Fans ist hoch, ebenso die Skepsis: Braucht es wirklich einen Ableger der brutalsten (und besten) Superheld:innen-Serie der Gegenwart, wirkt sich das nicht auf die Qualität der Mutterserie aus?
Prime Video findet anscheinend, der Hype um die Serie könnte größer sein, also wurden in den letzten Tagen strategisch News über "The Seven"-Cameos in "Gen V" geleaked: Soldier Boy (Jensen Ackles) beispielsweise soll vorbeischauen und die Quoten somit in die Höhe treiben.
Was die Handlung selbst betrifft, scheint der Streaminganbieter der Meinung zu sein: Je weniger man im Vorfeld darüber weiß, desto besser! Weshalb die Presse eine lange Liste mit Spoilern bekam, die bitte nicht im Vorfeld (und überhaupt) verraten werden dürfen. Was sich im Endeffekt auf gefühlt jede zweite Szene bezieht. Was Prime Video damit sagen will: "Gen V" lebt von den Twists und Turns. Was wir damit sagen wollen: Bissl übertrieben, denn auch die Wendungen schaffen es nicht, zumindest der ersten Folge das Prädikat "Streaming-Must" zu verleihen. Aber wir greifen vor.
Supes-Nachwuchs vor dem Vorhang
Was wir aber sehr wohl sagen dürfen, weil ohnehin bereits bekannt: "Gen V" ist an der Godolkin University angesiedelt, jenem College, das Nachwuchs-Supes ausbildet und bereits Stars wie Homelander oder Stormfront auf die Welt losgelassen hat (buchstäblich). Im Fokus steht eine Gruppe von jungen Superheld:innen (in spe), die ähnlich wie ihre Vorbilder groß rauskommen wollen und deshalb in starkem Konkurrenzkampf miteinander stehen. Immerhin geht es hier nicht nur um den perfekten Umgang mit der eigenen (künstlich geschaffenen) Superkraft, sondern auch um die besten Deals im Showbusiness.
Dass es sich bei "Gen V" nicht um eine herkömmliche College-Serie handelt, schon gar nicht um eine brav-sittliche, liegt in der Supes-Natur der Sache, auch wenn die einen oder anderen Kräfte erneut genretypisch als Metapher fürs Heranwachsen herhalten müssen. Und klar, die Protagonist:innen müssen sich auch hier mit dem typischen Uni-Chaos herumschlagen, gleichzeitig werden sie aber gezwungen, sich höchst explosiven Herausforderungen zu stellen … wortwörtlich. Denn sobald Superkräfte im Spiel sind, geht es immer auch um mehr. Spätestens als sie herausfinden, dass etwas Unheimliches in der Schule vor sich geht, werden sie auf die Probe gestellt. Sind sie in dieser Geschichte die Guten oder die Bösen?
Welcome back, Penis!
Schon in der allerersten Szene, die an einen Kult-Horrorfilm erinnert (ihr wisst schon: Verbotene Spoiler und so ...), wird deutlich: "Gen V" atmet durch und durch den Geist und hat die Seele der Originalserie. Oder besser: Es fehlt ihr an Seele, aber auf durchaus positive Weise: "Gen V" ist ähnlich wie "The Boys" respektlos, gesellschaftskritisch, bitterböse und unter der Gürtellinie. Eine pointierte Satire auf das brave Superheld:innen-Genre, quasi die Young Justice im "The Boys"-Stil.
Statt Pazifismus, Menschenrechte und dem allgemeinen erhobenen moralischen Zeigefinger geht's hier um Gier, Narzissmus, Selbstdarstellungsdrang, Kapitalismus und den Hass auf sich selbst. Darum, dem eigenen Image in der Öffentlichkeit nicht zu schaden und die Frage, was man für diese reine Weste bereit ist zu tun.
Und natürlich geht's um Sex. Gar nicht wenig Sex. Da nimmt sich "Gen V", wie auch "The Boys", kein Blatt vor den sicher nicht mit Seife ausgewaschenen Mund: Entsprechende Szenen sind sehr grafisch (übrigens auch jene, in der es um pure Gewalt und Brutalität geht) – und auch bei der Vorliebe für durchgeknallte Penis-Szenen zollt man erneut der Mutterserie (und Marvel's Ant-Man) Tribut.
Irgendwas funktioniert hier nicht
Klingt eigentlich gut, möchte man meinen. Wer "The Boys" kennt und liebt, dem wird ohnehin klar sein: Bei "Gen V" darf man nicht allzu zart besaitet sein. Trotzdem kriegen wir es hier nicht mit einer plumpen Action-Orgie zu tun, sondern mit einem klugen und nuancierten Kommentar zu allem, was in der Welt und in der menschlichen Seele falsch läuft. Am Ende geht's nämlich auch an der Godolkin University um Selbstakzeptanz und der Suche nach dem eigenen Ich.
Und trotzdem bleibt man nach der ersten Episode etwas ratlos zurück. Es ist schwer, den Finger darauf zu pressen, was bei "Gen V" nicht funktioniert. Ja, der Cliffhanger war überraschend und beweist, dass im "The Boys"-Universum wirklich niemand sicher ist. Das beginnende Rätsel ist aber nicht interessant genug, um der nächsten Episode entgegenzufiebern. Vielleicht liegt es daran, dass die Fallhöhe bei "Gen V" im Vergleich zu "The Boys" eher niedrig zu sein scheint, noch dazu lässt sich die Originalserie in Sachen Absurdität, Wahnsinn und dramaturgischer Grenzüberschreitung ohnehin nur schwer toppen. Der Nachwuchs muss halt doch noch einiges von den Großen lernen.
Der Cast enttäuscht (fast) durchwegs
Trotz dem einen oder anderen "WTF?"-Moment und der absurd-überspitzten (aber doch umso realeren) Welt der Supes ist das Tempo in der ersten Episode von "Gen V" gemächlich, man lässt sich Zeit. Das ist durchaus nicht ungewöhnlich, nimmt doch auch "The Boys" erst im Verlauf einer Staffel richtig an Fahrt auf.
Bei "Gen V" wird's aber zum Teil deshalb schwer erträglich, weil die Darsteller:innen und die von ihnen dargestellten Figuren (im krassen Gegensatz zu "The Boys") einfach nicht interessant genug sind und schmerzlich wenig Chemie untereinander aufweisen. Faszinierend-abstoßende Charaktere wie Homelander, The Deep und Butcher findet man bei "Gen V" nicht.
Patrick Schwarzenegger als Homelander-Nachwuchs Golden Boy ist in jeder Szene so steif und uncharismatisch, dass man sich unweigerlich fragt, wieso er der beliebteste Boy am College sein soll. Auch Underdog-Heldin Marie (Jaz Sinclair) wirkt zu glatt geschliffenen, wirklich interessiert ist man an ihrem Werdegang nicht. Chance Perdomo wiederum agiert wie auch schon in "Chilling Adventures of Sabrina" derart nahe am Overacting, dass es beim Zusehen körperlich weh tut. Und alle anderen Figuren? Ja, die sind halt auch da ...
... mit Ausnahme von Professor Brink alias Clancy Brown und Emma Meyer aka Lizzie Broadway, die sich beide sehr schnell als Scene-Stealer entpuppen und mit Leib und Seele in ihre Figuren eintauchen. Retten scheinen sie die Serie aber auch nicht zu können, aus unterschiedlichen Gründen. Ach ja: Die Kräfte der Jung-Supes (u.a.: Manipulieren von Blut, Gender-Swapping) sind okay, aber nicht mehr.
Irgendwo macht's dann doch Sinn
Wieso also überhaupt ein "The Boys"-Spin-Off, wo doch "Gen V" auf den ersten Blick nichts wirklich Interessantes dem Serien-Universum hinzufügen kann, denn man hat alles schon mal (im Originalprodukt) gesehen, nur besser? Darauf haben die Showrunner Craig Rosenberg, Evan Goldberg und Eric Kripke jedoch eine Antwort und beweisen, dass im Un-und Wahnsinn halt dann doch Sinn steckt:
Weil "The Boys" eben "The Boys" ist, wird auch beim Spin-Off nicht der traditionelle Weg gegangen, handelt es sich bei "Gen V" eigentlich um gar keinen Ableger im strengen Sinn, sondern um eine erweiterte Staffel 3 – also "Staffel 3.5" sozusagen. Die Ereignisse sind zwischen der dritten und vierten Staffel von "The Boys" angesiedelt, versteht sich also als dramaturgische Brücke zwischen den Seasons. Gut möglich also, dass Charaktere und Handlungsstränge aus "Gen V" in "The Boys"-Staffel 4 erneut aufgegriffen werden. Zudem soll bekanntlich Homelanders Sohn in den neuen Folgen im Fokus stehen, ein weiterer Supes-Nachwuchs, auf den die Godolkin-Gruppe womöglich einstimmen soll.
Hoffen wir, dass dieser der ersten Generation mehr Stolz bereitet als Marie, Golden Boy und Co.
3 von 5 Sternen
Für Fans von: "The Boys", "Invincible", "The Preacher"
Wo kann man "The Boys: Gen V" streamen?
"The Boys: Gen V" ist auf Prime Video zu sehen. Hier geht's zur Serie!
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