Filmkritiken

"Stella. Ein Leben": Das blonde Gespenst von Berlin

Der neue Film von Kilian Riedhof erzählt die wahre Geschichte von Stella Goldschlag, einer jüdischen Frau aus Berlin, die andere Juden an die Nazis verriet, um zu überleben. An so einen Stoff muss man sich erst einmal herantrauen - und das ganz ohne Moralkeule. Als Opfer und Henkerin ist Stella eine tragische Figur - famos gespielt von der wunderbaren Paula Beer. Ab Freitag im Kino.

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Verfilmung einer kontroversen Geschichte

"Ich seh' doch gar nicht aus wie 'ne Jüdin", sagt Stella zu ihrer Mutti, die nicht möchte, dass ihre leichtlebige Tochter auf die Straße geht. Schließlich wimmelt es nur so von Nazis. Die halsstarrige Stella reißt sich den gelben Judenstern von der Brust und angelt sich einen SS-Mann. Hinter den platinblonden Locken und strahlend blauen Augen der schätzenswerten Schauspielerin Paula Beer verbirgt sich eine egozentrische junge Frau. Stella will Spaß haben, sie will in den Tanzpalast. Bald schon steht das "blonde Gespenst", wie sie später genannt wird, in Kilian Riedhofs Drama auf dem Ku'damm, um den Nazis Juden auszuliefern.

Die Geschichte der jüdischen Mittäterin im nationalsozialistischen System war schon immer ziemlich kontrovers. Der umstrittene Roman "Stella" von Takis Würger wurde im deutschen Feuilleton 2019 heftig diskutiert - und zerrissen. Dass Riedhof ("Der Fall Barschel") ihr Leben ausgerechnet jetzt ins Kino bringt, in Zeiten, in denen die rechte Gesinnung wieder erschreckend um sich greift, finden viele brisant. 

Der deutsche Regisseur, der zusammen mit seinen langjährigen Schreibpartnern Marc Blöbaum und Jan Baren auch das Drehbuch verfasste, verurteilt und entschuldigt seine Protagonistin dabei nicht, aber er will auch gefallen. Der Film sieht gut aus, will unterhalten.

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Worum geht's in "Stella. Ein Leben"?

Er beginnt im Berlin des Jahres 1940. Die 18-jährige Stella steht im Glitzerkleid auf der Bühne und singt eine kokette Melodie vom Brechen gesellschaftlicher Normen und vom Schwelgen in verbotenen Freuden. Sie möchte in Amerika als Jazzsängerin Karriere machen, aber Stella ist, obwohl sie wie der Prototyp einer deutschen "arischen" Frau aussieht, Jüdin. Die Familie hat den Absprung ins Ausland verpasst, wird zuerst zur Zwangsarbeit verpflichtet und muss dann untertauchen.

Stellas erster Mann kommt ins Konzentrationslager. Sie wird gefoltert und verraten. Als sie eines Tages von der Gestapo erwischt wird, weil sie gemeinsam mit Rolf Isaaksohn (Jannis Niewöhner) gefälschte Pässe verkauft, wird sie vor eine grauenhafte Entscheidung gestellt, vor der kein Mensch stehen sollte: entweder sie lockt andere Juden und Jüdinnen in die Falle oder sie und ihre Eltern (Katja Riemann und der Wiener Schauspieler Lukas Miko) werden nach Auschwitz deportiert (wo sie später trotzdem ermordet werden). Sie entscheidet sich für ersteres.

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Paula Beer als Täterin und Opfer zugleich

"Was hättest Du getan?" ist die große Frage, die über diesem mit österreichischer Beteiligung realisierten Film schwebt. Und es gibt hier keine einfache Antwort, sondern der Film setzt auf das Prinzip des Widerspruchs: Zwei gegensätzliche Dinge können gleichzeitig wahr sein. Stella Goldschlag war Opfer und Täterin zugleich. Immer wieder schaut sie in den Spiegel, zieht ihre Lippen rot nach. Einmal gefällt ihr, was sie sieht. Ein anderes Mal spiegelt sich ihr verprügeltes Gesicht im Autofenster wider. Paula Beer ("Roter Himmel") gibt die Vielschichtigkeit von Stella dabei bestechend wieder, mal charmant, mal manipulativ, und mal verzweifelt.

In einem Restaurant konfrontiert sie ein jüdischer Freund nach dem Krieg mit dem, was sie getan hat. "Du musst doch bereuen, bitte!", fleht er sie an. Stella hat zehn Jahre lang in einem russischen Gefangenenlager gesessen. Sie bleibt eiskalt, streitet alles ab. Eine andere Antwort kommt am Ende von Riedhofs Film. Ein letztes Mal schaut sich Stella im Alter von 72 Jahren in den Spiegel - und nimmt sich selbst das Leben.

(Von Marietta Steinhart/APA)