Filmkritiken

„Sorry we missed you“: Kapitalismus in Bestform

Seitdem der Traum vom Eigenheim für die Familie Turner durch die Finanzkrise 2008 geplatzt ist, hält sich der Familienvater Ricky (Kris Hitchen) mit zahlreichen Knochenjobs über Wasser. Jetzt hat er genug davon, seinen Körper für den Gewinn anderer zu schänden und möchte sein eigener Chef werden. Er beginnt ein Franchise als selbstständiger Fahrer zu betreiben und fährt quer durch Newcastle, um Pakete auszuliefern. Was als hoffnungsvoller Neuanfang beginnt, wird schnell zu einem Albtraum, der Ricky und seine Familie in die Verzweiflung treibt.

Gefangen im System

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Sorry we missed you“ ist eine ungeschminkte Momentaufnahme der heutigen Arbeitswelt. Das Drama beleuchtet die Kehrseiten hinter dem Online-Versandhandel und zeigt die ausbeuterischen Strukturen, die hinter Amazon und Co stecken. Durch die Scheinselbstständigkeit wird den Arbeitern Freiheit und Selbstbestimmung vorgegaukelt, die im Grunde nur dazu dient, das Risiko für den Franchiseanbieter zu senken, der dadurch höhere Profite erzielen kann.

Facettenreich

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Regisseur Ken Loach ist seit den 60er Jahren einer der wichtigsten Filmemacher Großbritanniens. Seine Werke zeichnen sich durch eine fundierte Kapitalismuskritik aus, die sowohl berührt als auch zum Nachdenken anregt. Kurz nach der Weltpremiere auf den Filmfestspielen in Cannes schilderte der 83jährige, dass die tragischen Schicksale seiner Figuren „nicht dem kaputten Kapitalismus, sondern dem perfekt funktionierenden Kapitalismus“ geschuldet seien. In seinem neusten Werk nimmt er im Gegensatz zu vielen anderen Sozialdramen eine Position ein, die den Menschen nicht vom System isoliert. Hätte man die Geschichte aus der Perspektive der zwei Kinder erzählt, könnte man den ein oder anderen Zuseher durch schockierende Bilder von zwei schrecklichen Eltern berühren, doch Loach weigert sich auch hier wieder einmal, einfache Sündenböcke für ein komplexes Problem auszumachen. Aufgrund ihrer finanziellen Situation sind Ricky und Abbey dazu gezwungen, 12 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche zu arbeiten, da bleibt nun mal keine Zeit für die Familie.

Alter Meister

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Loach erhielt 2016 für „I, Daniel Blake“ seine zweite Goldene Palme in Cannes und gehört somit zu einer kleinen Gruppe von Regisseuren, die den wichtigsten Filmpreis bereits zwei Mal erhalten haben, auch der Österreicher Michael Haneke ist Teil dieses kleinen Zirkels. „Sorry we missed you“ ist einem nüchternen Realismus verschrieben, der ohne große Effekte auskommt und seine emotionale Kraft aus einem starken Thema, einer packenden Geschichte und fantastischen Darstellern schöpft. Das gesamte Schauspielensemble stand das erste Mal vor der Kamera und harmoniert großartig miteinander. Die einzigartige Sprachfärbung verleiht den Figuren eine Authentizität, die mit Profis nicht herzustellen wäre. Vor allem die emotionalen Szenen sind durch die Zurückhaltung der Schauspieler besonders eindrucksvoll.

Berührend

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Ken Loach liefert mit „Sorry we missed you“ wieder ein Meisterwerk ab, das einen im Kinosessel wachrüttelt und auch zuhause nicht mehr loslässt. Der Brite schafft es durch seinen humanistischen Zugang, auch im hohen Alter neue Maßstäbe für ein ganzes Genre zu setzen.