"Shang-Chi" im Kino: Marvel made in Asia mit tollen Martial Arts
Von Franco Schedl
Geheimgesellschaften haben es nun einmal so an sich, dass deren Mitglieder nicht gerne im Rampenlicht stehen. Dabei hat die mysteriöse Organisation "Ten Rings" angeblich schon seit jeher in der MCU-Welt gut verborgen die Fäden gezogen.
Doch im 25. Marvel-Blockbuster ist es für sie nun endlich an der Zeit, aus dem Schatten zu treten und all ihre Geheimnisse zu lüften. Zudem lernen wir in "Shang-Chi" nicht bloß einen begnadeten Kampf-Künstler kennen, sondern auch den ersten asiatischen Marvel-Helden überhaupt.
Gnadenloser Drill
Hauptdarsteller Simu Liu wird als Kung-Fu-Meister Shang-Chi mit seiner Vergangenheit konfrontiert, obwohl er davon gar nichts wissen will. Er hat sich nämlich schon längst von seinem scheinbar unsterblichen Vater Xu Wenwu (Tony Leung), dem unbarmherzigen und gefürchteten Anführer der "Zehn Ringe", abgewandt, nachdem er in seiner Kindheit einen gnadenlosen Drill über sich ergehen lassen musste und zum Killer ausgebildet wurde.
Mit 14 glaubte er diese Welt des Vaters endgültig hinter sich gelassen zu haben – was sich rund zehn Jahre später natürlich als großer Irrtum erweist. Seiner Schwester Xialing (Meng’er Zhang) ergeht es übrigens genauso, da sie ein ähnliches Schicksal mit ihm teilt.
Getanzter Liebes-Kampf
In den ersten Filmminuten wird ausschließlich Chinesisch gesprochen und es ist zu begrüßen, dass Marvel da keine Kompromisse mit einem amerikanischen Publikumsgeschmack eingeht, für den Untertitel eher verpönt sind.
Die Handlung beginnt in grauer Vorzeit und springt dann in die Gegenwart, nachdem sie einen Zwischenstopp im Jahr 1996 eingelegt hat. Dieser kurze Aufenthalt dient dazu, das erste Zusammentreffen von Shang-Chis künftigen Eltern zu zeigen. Die beiden gehen in einem Zauberwald zwar aufeinander los, doch eigentlich führen sie uns ein Kampf-Ballett als getanzte Liebeserklärung vor, wie es schöner auch in "Tiger & Dragon" nicht zu finden ist.
Wuxia und MCU
Tatsächlich könnte man zunächst glauben, in einem klassischen Wuxia-Film gelandet zu sein, aber bald mehren sich die kleinen Hinweise auf das MCU. Sobald jemand die Möglichkeit erwägt, dass die halbe Menschheit ausgelöscht werden könnte, müssen wir automatisch an Thanos und sein Fingerschnippen denken.
Weiters kommt in einer Kampfarena eine bekannte Gestalt zum Einsatz und gewinnt den Fight dank der Hilfe feuriger Ringe, und außerdem darf auch ein ehemaliger Iron-Man-Gegner namens Mandarin sein unverhofftes Comeback erleben, wodurch uns Ben Kingsley einen der witzigsten Auftritte seiner langen Karriere beschert. Zur komischen Wirkung trägt auch sein seltsames Haustier bei, das man sich am besten als Wischmopp mit Schmetterlingsflügeln vorstellt.
Kampf-Künste
Die Martial Arts spielen hier eine Hauptrolle und dass uns wirklich Erstaunliches geboten wird, deutet bereits die erste Kampf-Szene an, in der ein vollbesetzter Linienbus in bester "Speed"-Manier mit defekten Bremsen über abschüssigen Straßen dahinbrettert, während in seinem Inneren eine ganze Horde auf Shang-Chi losgeht – allen voran ein einarmiger Riese, aus dessen Armstumpf im Bedarfsfall eine glühende Machete wächst. Bei dieser Gelegenheit zeigt der Titelheld erstmals – sehr zur Verwunderung seiner platonischen Freundin Katy (Awkwafina) –, was eigentlich in ihm steckt.
Eine weitere Auseinandersetzung spielt sich wenig später auf dem zweifellos weltgrößten und schlecht gesichertsten Baugerüst ab, das locker eine Erwähnung im "Guinness-World-Records-Buch" verdient hätte. Doch der unvermeidbar bombastische Schluss-Kampf wird dann im gut verborgenen Land Ta Lo stattfinden. Das ist die Heimat von Shang-Chis Mutter und wirkt wie eine Art asiatisches Wakanda.
Dort leben nicht nur Menschen, sondern auch Fabelwesen, die man aus der asiatischen Mythologie kennt – allen voran selbstverständlich gigantische Drachen. Gerade im letzten Filmdrittel hat man daher immer wieder den Eindruck, als wären Illustrationen aus einem chinesischen Märchenbuch lebendig geworden.
3D macht diesmal übrigens wirklich Sinn: Die Technologie bewirkt, dass einem oft nicht nur diverse Körperteile oder Waffen der Kämpfenden, sondern auch die zehn Ringe regelrecht entgegenfliegen.
Augenweide aus Fernost
Was uns Marvel hier präsentiert, ist somit tatsächlich eine üppige, farbenprächtige, wild wuchernde fernöstliche Augenweide, an der man sich nicht sattsehen kann. Man fragt sich selbstverständlich, wie sich Shang-Chi nun in die große Marvel-Familie einpassen wird, doch auch dafür ist gesorgt, denn in der Mid-Credit-Szene des Abspanns wird unser neuer Held zuletzt auch noch viel näher ans MCU herangeführt, da er ein paar altbekannte Gestalten trifft, die ihn als neuen Mitstreiter begrüßen, obwohl sie ihm gar nicht in Fleisch und Blut gegenübertreten.
Marvels Einstand in die fernöstliche Mythologie ist also geradezu perfekt geglückt und lässt so gut wie keine Wünsche offen – nur etwas mehr Ben Kingsley wäre fein gewesen. Immerhin wird der Cast durch einen Auftritt von Michelle Yeoh als Shang-Chis Tante zusätzlich veredelt.
4 ¼ von 5 seelensaugenden Drachenmäulern.