Filmkritiken

"Musik, Leinwand, Öl...": Mit der Kamera gemalt

Ein blinder Maler macht einen Film. Das klingt doppelt ungewöhnlich und nach einer großen Herausforderung. Hervorgegangen ist das knapp einstündige Werk aus einem länger zurückliegenden Projektplan: Gemälde des gebürtigen Russen Sergej Popolsin, der mit 26 Jahren sein Augenlicht verloren hat und seit Mitte der 90er Jahren in Österreich lebt, haben den Komponisten Evgeny Masloboev 2004 zu mehreren Musikstücken inspiriert, doch die geplante Kooperation unter dem Titel „Farbe im Ton“ konnte nicht verwirklicht werden. Elf Jahre später kam Popolsin  die Idee, auf Basis der Tondichtungen einen Film zu drehen, der 2018 abgeschlossen wurde. Ton und Bild ergeben in „Musik, Leinwand, Öl…“ eine faszinierende Symbiose und laden uns zu einem audiovisuellen Galeriebesuch der anderen Art ein.

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Einladung zur Bildbetrachtung

Manchmal klingt die Musik geradezu bedrohlich, dann ist sie wieder voll spielerischer Leichtigkeit und scheint direkt zum Tanz aufzufordern. Über 20 Gemälde sind den Kompositionen zugeordnet und jede Bildbetrachtung wird durch eine kleine Szene vorbereitet, die gar nicht erst den Anspruch erhebt, eine durchgehende Geschichte zu erzählen, sondern eher eine Momentaufnahme bieten möchte, um eine gewisse Stimmung hervorzurufen. Als Bezugsperson ist immer „der Maler“ zu sehen, der von Popolsin selbst verkörpert wird. Dennoch bleibt es eine Filmfigur, die man nicht zur Gänze mit dem realen Künstler gleichsetzen sollte (obwohl unverkennbar autobiografische Elemente eingeflossen sind).

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Szenen eines Malerlebens

Dieser Maler ordnet Blütenzweige in einem Glasgefäß, steht mit der Staffelei in einer Winterlandschaft und macht wenig später einen Blütenfund im Schnee. Er lädt aber auch die Kammer eines Revolvers mit Patronen als würde er sich auf russisches Roulette vorbereiten. Zum Geräusch des Schusses hinterlässt dann ein zu Boden fallender Pinsel einen roten Farbklecks auf dem Parkett. (Tatsächlich hat Popolsin im Jahr 1990 nach seinen eigenen Worten „russisches Roulette mit Gott gespielt“ und bei diesem Selbstmordversuch sein Sehvermögen verloren.) Dann steht der Maler wieder vor einem Selbstporträt, das er mit den Händen erforscht oder nimmt einen Sitzplatz auf dem Friedhof ein. Später geht er durch Wiens Straßen und wir finden uns im Gürtel-Stoßverkehr wieder; einer Autorfahrt im Regen folgt der Besuch in einem Jazz-Club. In einer anderen Szene wird er für ein kleines Mädchen aus einer Plastikschuhsohle und einem Blatt Papier ein ganz spezielles Segelschiff basteln, und zuletzt tastet sich der Blinde symbolträchtig über Geröll vorsichtig einer Felswand entgegen. Überhaupt scheint der Maler die freie Natur zu lieben und so begleiten uns viele Naturaufnahmen durch den Wechsel des Jahres: von tauendem Eis und Schmelzbächen über Frühlingsblütengrüße, einer sommerlichen Rast im Kornfeld bis zu herbstlich blätterreichen Impressionen.

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Gelungenes Experiment

Meist streicht die Kamera zunächst über die Gemälde und lässt auf Anhieb nur Details erkennen, die wir uns erst selber zusammensetzen müssen, bevor sie dann den Blick aufs Ganze freigibt. Popolsin  bringt es tatsächlich fertig, auch mit der Kamera zu malen, obwohl sie natürlich gar nicht von ihm selber geführt wurde, sondern von seiner in dieser Aufgabe zunächst ganz unerfahrenen Ehefrau. Sie folgte seinen genauen Vorgaben nach skizzierten Storyboards und erreicht eine erstaunliche Perfektion. Hier macht sich ein hoher Kunstwille bemerkbar und es entstehen genau kalkulierte Filmbilder. „Musik, Leinwand, Öl…“  ist somit ein gelungenes Experiment, bei dem unsere Augen und Ohren gleichermaßen gefordert sind, um eine ganz neue Form der Bilderkundung zu versuchen.

TERMINHINWEIS: Filmpremiere und Treffen mit den Filmautoren. Sonntag, 23. Februar 2020, 11:00, Stadtkino im Künstlerhaus | Eintritt: 9€, freie Platzwahl. | Tickets reservieren: stadtkino@stadtkinowien.at | Tickets direkt im Kino

LINKTIP: http://www.popolsin.com/  (dort sind alle der im Film gezeigten Gemälde abgebildet)