Filmkritiken

"Morbius"-Kritik: Selbst-Interview zu einem Marvel-Vampir

Das Interview mit einem Vampir ist ja altvertraut und ich hätte es gerne wiederholt, aber leider hat sich Morbius nicht bereit erklärt, mit mir zu sprechen. Also habe ich eine andere Lösung gefunden – und will im Selbstgespräch herausfinden, was es mit diesem Marvel-Film, der Jared Leto in seiner ersten Vampirrolle zeigt, auf sich hat.

Frage an mich: Soll man sich "Morbius" überhaupt im Kino anschauen?

Antwort von mir: Unbedingt: Wenn man sich in der Gemeinschaft fürchten kann, ist das schließlich ein ganz anderes Erlebnis als daheim alleine vor dem Bildschirm.

Gibt es denn so viel zu fürchten?

Na, du wirst Augen machen. Sei froh, dass du den Film noch nicht kennst – statt dem üblichen Mund- und Nasen-Schutz sollte man im Kino eher einen Halsschutz gegen Bisse tragen. Aber jetzt mal Spaß beiseite: Natürlich kann "Morbius" nicht mit einem zünftigen Horror-Film mithalten. Es gibt – schon im Interesse der Jugendfreigabe – keine Splatter-Orgien mit Blut-Fontänen, aber ein paar stimmige Grusel-Szenen gehen sich aus. Ich denke da vor allem an einen langen Krankenhaus-Korridor, auf dem nachts eine einsame Frau unterwegs ist, während das Licht zu flackern beginnt. Bei diesem lebenden Vampir darf man sich also auf ein ganz klein wenig Gänsehaut einstellen.

 

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Lebendiger Vampir

Was ist das eigentlich: ein lebendiger Vampir?

Das soll nur bedeuten, dass dieser Michael Morbius nicht von Dracula oder einem anderen Vampir gebissen wurde und dadurch auch kein untoter Blutsauger geworden ist. Seine Verwandlung war das Resultat eines missglückten wissenschaftlichen Experiments. Der Nobelpreisträger für Biochemie wollte nämlich Heilung von seiner seltenen Blutkrankheit finden und hat sich dafür einer Behandlung mit der DNA von Vampir-Fledermäusen unterzogen. Das Ergebnis war verheerend: Es hat nicht nur sein Äußeres nachteilig verändert, sondern auch seinen Blutdurst geweckt. Ist ja auch kein Wunder – dass man bei Fledermäusen besonders vorsichtig sein muss, wissen wir spätestens seit dem Corona-Virus.

Morbius ist doch eine Figur aus den Marvel-Comics. Seit wann gibt es ihn dort?

Genauso wie Venom hat er zunächst als Spider-Man-Gegner begonnen und ist erstmals in "The Amazing Spider-Man #101" im Oktober 1971 aufgetreten. Später hat er auch immer wieder eigene Serien erhalten. Zunächst war er als Bösewicht angelegt, aber eigentlich ist er eine tragische Figur, die verzweifelt nach einem Heilmittel von dem Vampir-Dasein sucht.

Und wie ist er im Film charakterisiert?

Hier wird geradezu zwanghaft darauf geachtet, dass Morbius auf Seiten der Guten steht. Wenn er das erste Mal seinen Blutdurst stillen muss, bekommen wir zunächst ein paar unsympathische Typen präsentiert, die sich ihr Schicksal also sozusagen selber zuzuschreiben haben und denen man keine Träne nachweinen wird. Aber im Grunde entwickelt sich Morbius eher zum Kunstblut-Vampir. Ganz im Gegensatz zu seinem Gegenspieler, der solche Bedenken nicht kennt.

 

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Abweichungen von den Comics

Kannst du uns, ohne zu spoilern, etwas über die Story verraten?

Wer Morbius' Entstehungsgeschichte kennt, wird sehr erstaunt sein, wie sehr der Film von den Comics abweicht, denn dort ist eine wichtige Figur bereits sehr früh gestorben. Hier läuft das alles ganz anders ab. Es ist auch überraschend, dass er sich zwischenzeitlich immer wieder in seine frühere Gestalt zurückverwandeln kann. So kennt man das aus den Comics ebenfalls nicht.

Vielleicht wollte Jared Leto einfach sein echtes Gesicht öfter herzeigen. Wie ist er denn in dieser Rolle überhaupt?

Absolut glaubwürdig und gut. Man muss aber dazusagen: Leto hat im Lauf seiner Karriere schon etliche herausforderndere Rollen gespielt und größere Verwandlungskünste an den Tag gelegt, die nicht aus dem Computer stammten. Als allseits benachteiligter Gucci-Spross hat er bei mir zum Beispiel erst vor wenigen Monaten einen wesentlich stärkeren Eindruck hinterlassen.

Wie passt sich der Film denn ins Spider-Verse ein? Bei "Venom" hat sich ja am Schluss des zweiten Teils auch etwas in dieser Richtung angedeutet.

Danke für das Stichwort: Venom ist ein guter Vergleich, denn genauso geht man auch diesmal vor. Niemand sollte damit rechnen, dass sich hier Spidey einmal durchs Bild schwingt. Solche Stunts muss man schon Morbius selbst überlassen. Aber in zwei Abspann-Szenen wird dann gänzlich unmotiviert ein Spider-Man-Schurke eingeführt, den wir schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen haben. Das wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen und ich frage mich, wohin sich das dann in einer Fortsetzung entwickeln soll.

Also wenn ich das so höre, könnte ich mir vorstellen, dass in einem nächsten Film dann womöglich Venom, Morbius, der von dir genannte Schurke und Spider-Man aufeinandertreffen. Gibt es auch witzige Momente?

Ein lustiges Easter-Egg wurde zumindest eingebaut, denn das Schiff, auf dem die Verwandlung in den lebendigen Vampir vor sich geht, trägt den Namen MURNAU, was ja als deutliche Anspielung auf den "Nosferatu"-Regisseur zu erkennen ist. Sehr viel zum Lachen bekommen wir aber bei diesem dunklen Antihelden nicht geboten.

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Visuelle Stärken

Was sind denn sonst so die Stärken des Werks?

Der Film kann eindeutig mit der visuellen Umsetzung punkten. Wie Morbius seine neuen Kräfte erkennt und anzuwenden lernt, wird recht spektakulär in Szene gesetzt. Wenn er etwa von einem Luftstrom ergriffen vor einem Zug durch einen U-Bahn-Tunnel schießt oder dank Echo-Ortung die nächtliche Stadt von hoch oben mit seinen speziellen Sinnen scannt und dann von Hochhaus zu Hochhaus dahinjettet, sieht das einfach super aus. Und die neugewachsenen feinen Härchen in seinen Ohren, die ihm zum Super-Gehör verhelfen, sind eine lustige Idee.

Du hast dich also gut unterhalten gefühlt?

Ja, schon. "Morbius" ist erstaunlich kurzweilig, obwohl die Story nicht unbedingt auf Originalität Anspruch erheben kann. Als die Abspann-Sequenz gestartet ist, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass wir wirklich schon am Ende sind. Das trifft hoffentlich auch auf dieses Selbst-Interview zu. Ich danke mir für dieses Gespräch.

Sorry, aber da muss ich dich leider unterbrechen. Du hast die Bewertung vergessen.

Ach ja, stimmt. Also gut: Ich vergebe 3 von 5 Blutkonservenöffnern.

"Morbius" ist ab 1. April in unseren Kinos. Hier geht's zu den Spielzeiten.