"Megalopolis": Coppolas herrlicher Größenwahn
Von Franco Schedl
Francis Ford Coppola ist immer ein Mann der Extreme gewesen und wenn er nun mit 85 Jahren ein weiteres Riesenprojekt vorlegt, wirkt das nur wie die konsequente Weiterführung eines ungewöhnlichen Arbeitslebens. Sobald jemand die Dreharbeiten zu "Apocalypse Now" relativ unbeschädigt überstanden hat, wird er sich ja wohl im Großstadt-Dschungel von New York erst recht heimisch fühlen und viel leichter zurechtfinden (noch dazu ist das meiste von "Megalopolis" ohnehin vor Greenscreen entstanden).
Adam Driver baut ein neues New York
Aber worum geht es denn nun eigentlich in diesem futuristischen Epos, für das Coppola so viele Stars verpflichten konnte, dass allein die Aufzählung der berühmten Namen die Länge einer ganzen Kritik ergeben würde? Im Mittelpunkt steht Adam Driver als Super-Architekt, der davon träumt, seine kühne Vision von einem komplett neuen New York zu verwirklichen. Doch leider gibt es da einen mächtigen Bürgermeister in Gestalt von Giancarlo Esposito, der nichts von diesem Vorhaben hält. Ausgerechnet in der Tochter seines Gegners (Nathalie Emmanuel) trifft der Baumeister dann eine Gleichgesinnte und gemeinsam beginnen sie, ihre Welt umzugestalten, allen Anfeindungen und Intrigen zum Trotz.
Neue Römer mit alten Namen
Das ist geradezu ein "Babylon New York", allerdings heißt die Weltstadt hier New Rome und die Sitten sind entsprechend dekadent: Es gibt Luxus, Orgien, Völlerei (sogar ein Wagenrennen findet statt), und als Neo-Römer tragen die Figuren natürlich beeindruckende Namen, wie zum Beispiel Caesar Catilina (Driver), Cicero (Esposito), Hamilton Crassus III (Jon Voight) oder Fundi Romaine (Lawrence Fishburne). Bevor ich jetzt aber doch ins Aufzählen verfalle, breche ich lieber ab und widme mich der Frage, welche Vision Coppola seinerseits mit diesem vor Vitalität nur so strotzendem Alterswerk gestalten wollte.
Hamlet Driver
Der Regisseur selbst erbaut zwar keine Stadt, doch er ist ein einfallsreicher Cineast, was man seinem Werk auch ansieht: Er arbeitet mit vielen unterschiedlichen Stilmitteln und lädt so zugleich zum Gang durch die Filmgeschichte ein. Die unterschiedlichen Settings vermitteln oft den Eindruck eines Bühnenstücks und dass Coppola auch in dieser Beziehung nur das Beste gut genug ist, zeigt sich gleich zu Beginn, wenn er Driver den berühmten Hamlet-Monolog "Sein oder Nichtsein" rezitieren lässt. Das wird zu einem unvergesslichen Moment - und wer möchte Adam Driver nun nicht sofort als Dänenprinz erleben? Andere Figuren sprechen zwischendurch sogar Latein und werfen mit Zitaten der klassischen Literatur um sich.
Zwischen Trump und Mussolini
Vielleicht ist man zunächst verwirrt und fragt sich, was das alles zu bedeuten hat, doch bald wird deutlich, dass Coppola ein hochgestecktes Ziel verfolgt. Er entwirft ein Bild unserer Zeit und vor allem der amerikanischen Gegenwart: enormes soziales Gefälle, Korruption, manipulative Medien, 12jährige, die auf Menschen schießen, künstliche Popstars, und natürlich dürfen auch Anspielungen auf gewisse Personen nicht fehlen: Shia LaBeouf spielt einen machthungrigen Quereinsteiger in die Politik, der mit Gestik und Rhetorik an Trump erinnert und die Bevölkerung ebenfalls zu Ausschreitungen und Revolten anstachelt, bis alles in Chaos zu versinken droht. Sein Ende weckt dann aber eher Erinnerungen an Benito Mussolini.
Ode an die Kunst
Dem setzt dieser Film einen Hoffnungsträger entgegen, denn "Megalopolis" ist zugleich eine Ode (und laut Untertitel eine "Fabel") an den Künstler und schöpferischen Menschen, der kompromisslos seine Ziele verfolgt, um Träume in Realität zu verwandeln. Dass konstruktive Fantasie tatsächlich Unglaubliches zu leisten vermag, wird in Caesar mehr als deutlich: Der Architekt verfügt über geradezu magische Fähigkeiten, kann nach Belieben die Zeit zum Stillstand bringen und hat ein Wundermaterial erfunden. Die Zeit scheint auch für uns stehen geblieben zu sein, denn es ist wirklich erstaunlich, dass diese Themenvielfalt in bloß 138 Minuten untergebracht werden konnte.
Zum Glück leidet Coppola also unter Megalomanie - zu Deutsch: Größenwahn -, denn sonst hätte er sich dieses Projekt bestimmt nicht mehr zugetraut. Das Ergebnis gibt ihm Recht: Er drückt in seinem Film den Glauben an eine bessere Zukunft aus und hinterlässt mit "Megalopolis" sein ganz spezielles - und sehr eigenwilliges - Vermächtnis an die Menschheit (und ans Kino).
5 von 5 nachwachsenden Gesichtshälften
"Megalopolis" läuft gerade in unseren Kinos. Hier geht's zu den Spielzeiten!