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Filmkritiken

"Maria"-Filmkritik: Sterbe-Arie einer Operndiva

Pablo Larrain lässt ein weiteres seiner großartigen Frauenporträts folgen, die inzwischen zum Markenzeichen des chilenischen Regisseurs geworden sind. In "Maria" geht es um die letzten Tage einer Operndiva, in denen sich Traum und Realität, Tragik und Größe miteinander vermischen, und die Musik noch immer die Hauptrolle spielt. 

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Erinnerungsreiches Leben in Todesnähe

1977 ist Maria Callas (Angelina Jolie) als Sängerin verstummt und lebt seit Jahren zurückgezogen in einer luxuriösen Pariser Wohnung, umsorgt von einem Chauffeur (Pierfrancesco Favino) und einer Haushälterin (Alba Rohrwacher), die zugleich ihre einzigen Gefährten und nächsten Vertrauten sind. Ein steigender Konsum diverser Tabletten hat nicht nur zu einer dramatischen Verschlechterung ihrer Gesundheit geführt, sondern vor allem zum verstärken Auftreten von Halluzinationen. 

Längst verstorbene Personen, die ihr wichtig waren, wie vor allem ihre große Liebe  Aristoteles Onassis (ein genialer Haluk Bilginer), suchen sie ständig heim, aber auch der Besuch eines jungen Journalisten (Kodi Smit-McPhee), der in Begleitung eines Kameramannes erscheint, um einen Film über "die Callas" zu drehen, entspringt nur ihrer Phantasie, wie uns rasch klar wird – spätestens, sobald er sich mit einem Namen vorstellt, der zugleich jener ihrer bevorzugten Tablettenmarke Mandrax ist (und dabei handelt er sich um einem Arzneistoff, der als Rauschmittel Verwendung findet).

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Deprimierendes Thema mit Jolie als Lichtgestalt

Der Film, nach einem Drehbuch von "Spencer"-Autor Steven Knight, wählt somit einen eher deprimierenden Ansatz, der echte Callas-Fans womöglich abschrecken wird: Wir erleben die Diva nicht auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes, sondern als eine vom Tod gezeichnete Frau mit nachlassenden Kräften. Zugleich hat sie aber wohl auch erstmals ein Gefühl von völliger Freiheit erlangt. Das Leben der Künstlerin als sterbender Frau bringt zwangsläufig einen verringerten Spielraum mit sich; daher beschränkt sich der Schauplatz meist auf das Innere ihrer Wohnung - doch in den Erinnerungen werden die Grenzen von Raum und Zeit großzügig überschritten. 

Ein wahrer Lichtblick in dieser düsteren Thematik ist Angelina Jolie und man kann Lorraine gar nicht genug danken, dass er sie endlich wieder mit einer fordernden Rolle betraut hat, von der es in ihrer bisherigen Karriere leider viel zu wenige gibt. Hier zeigt sie uns auf atemberaubende Weise, welche großartige Schauspielerin in ihr steckt, wenn man ihr nur eine passende Gelegenheit bietet. Noch dazu nahm sie auch monatelang Gesangsunterricht und wir hören in einigen Partien ihre eigene Singstimme.

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Ein falscher Film im richtigen 

Man sagt ja, in gewissen Momenten spiele sich das eigene Leben wie ein Film vor unseren Augen ab. Diese Redensart wurde in "Maria" wörtlich genommen. Der angeblich im Entstehen begriffene Film, den es nur in ihrem Kopf gibt, soll den Titel "Die letzten Tage einer Sängerin" tragen, und es ist Callas nur allzu deutlich bewusst, dass es mit ihr zu Ende geht. Dafür benötigt sie gar nicht die Auswertung eines Bluttests, den sie sich vom besorgten Chauffeur regelrecht hat aufzwingen lassen. 

Die einstige Größe ist aber immer um sie: Während ihrer Gänge durch die Stadt kann es passieren, dass sich Passanten in ihrer Vorstellung zu einem Opernchor formieren oder ein Orchester unter freiem Himmel im strömenden Regen eine Melodie aus "Madame Butterfly" spielt. Unterbrochen werden diese effektvoll umgesetzten Visionen dann oft durch richtige Rückblende, die meist in Schwarz-Weiß gehalten sind, um sie rein optisch sofort abzugrenzen – eine davon reicht sogar bis in den Zweiten Weltkrieg zurück, und die junge Maria wird nicht von Jolie, sondern durch Aggelina Papadopoulou dargestellt. (Hat sich Larrain bei dieser Wahl vom fast identischen Vornamen leiten lassen?)

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Melodramatische Todesarie

Dennoch will die einstige Primadonna noch einmal wissen, ob sie ihre Kunst nach wie vor beherrscht  und es kommt zu einer Szene von surrealistisch anmutender Tragikomik: Maria präsentiert sich mit geradezu rührender Unsicherheit, als sie ihrer Haushälterin vorsingt, während diese am Gasherd steht und eine Omelette zubereitet. Danach sucht Callas Tag für Tag das Opernhaus auf, um sich dort von einem verständnisvollen Pianisten zu ihren zögernden Gesangsversuchen begleiten zu lassen. Das Versagen ihrer Stimme ist allerdings nicht zu überhören. Dass man sich auch zu Tode singen kann, zeigt dann das etwas melodramatisch umgesetzte Finale – obwohl diese Sterbeszene natürlich der Wunschtraum jeder Operndiva sein müsste und auf der Bühne für tosenden Applaus gesorgt hätte. 

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Das Gegenstück zu "Jackie"

Lorraine ist nun nach "Jackie" sozusagen auf die andere Seite gewechselt und es wirkt reizvoll, dem neuen Werk seinen früheren Film als Kontrastfolie entgegenzuhalten. Zwangsläufig ergeben sich Überschneidungen beim Auftritt von gewissen Figuren, denn durch Onassis gerät natürlich auch dessen späteren Gattin Jackie Kennedy ins Spiel und einmal kommt es zwischen Callas und Präsident Kennedy zu einem kurzen, eher frostig verlaufenden Zusammentreffen, bei dem die Sängerin effektvoll das letzte Wort behält. Der Regisseur holt für diese Gelegenheit sogar seinen einstigen JFK-Darsteller Caspar Phillipson zurück; Natalie Portman erhält jedoch keine Gelegenheit für ein Comeback, da Jackie selbst gar nicht in Erscheinung tritt. 

Angelina Jolie ist jedenfalls niemals besser gewesen und wenn sie schon unbegreiflicherweise bei den heurigen Oscar-Nominierungen übergangen wurde, hat sie sich zumindest einen Sonderpreis in unseren Herzen erspielt und ersungen.

4 von 5 durch zu laute Opernmusik verschreckten Schoßhündchen

"Maria" ist derzeit in unseren Kinos zu sehen. Hier geht's direkt zu den Spielzeiten!