Filmkritiken

"Le jeune Ahmed": Gefangen im Extremismus

Der 13 jährige Ahmed (Idir Ben Addi) wächst als eines von drei Geschwistern bei seiner alleinerziehenden Mutter (Claire Bodson) auf. Während sein Bruder sich mit schnellen Autos und seine Schwester sich mit Männern beschäftigt, steht für Ahmed der Islam im Mittelpunkt. Den Versuchen seiner Lehrerin (Myriem Akheddiou), liberale Strömungen in die Religion miteinfließen zu lassen und die arabische Sprache mittels Songtexten zu lernen, erteilt er eine strikte Abfuhr. Der Einzige, der ihn wirklich zu verstehen scheint, ist der Imam in seiner Moschee. Seinen radikalen Gedanken möchte Ahmed auch Taten folgen lassen. Er schmiedet einen perfiden Plan, der sein und das Leben seiner Mitmenschen für immer verändern wird.

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Dilemma

In den letzten 20 Jahren mauserten sich die Brüder Dardenne mit ihren Portraits der Arbeiterschicht zu den erfolgreichsten Regisseuren des zeitgenössischen Kinos. Die systemimmanente Ausbeutung im Kapitalismus stand dabei stets im Zentrum ihrer menschlichen Tragödien. Die bösen Taten der Protagonisten wurden immer als Ergebnisse der Umstände, in denen sich die Charaktere befanden, eingeordnet. Diesmal stellen sie ihr bewährtes Konzept jedoch auf den Kopf. Der junge Ahmed lässt nicht in sich hineinblicken. Die Antwort, weshalb er diese schrecklichen Dinge tut, wird einem hier nicht gegeben. Schritt für Schritt sieht man ihn ins Unheil stürzen und wünschte, man könnte ihn aufhalten.

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Babyface

Gespielt wird dieser junge Ahmed von Idir Ben Addi, einem belgischen Laiendarsteller, der noch nie vor der Kamera stand. Die Dreharbeiten fanden glücklicherweise genau zu jenem Zeitpunkt statt, als der Hauptdarsteller sich gerade vom Kind zum Jugendlichen entwickelte. Seine unbeholfene Körperhaltung und seine kindlichen Gesichtszüge sind ein harter Kontrast zu seinen brutalen Taten. In Bresson-Manier bleibt das Gesicht von Addi stets neutral - genau das macht ihn so beängstigend.

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Lob und Kritik

Für ihren schonungslosen Zugang erhielten sie den Preis für die beste Regie auf den Filmfestspielen von Cannes, aber wurden gleichzeitig auch heftig kritisiert. Die Kritik richtete sich vor allem auf die Tatsache, dass die Filmemacher keinen Bezug zum gezeigten Millieu hätten und deshalb nur Klischees bedienen würden. „Le jeune Ahmed“ ist zweifelsfrei ein unangenehmer Film, aber durch die elegante Regiearbeit bekommt man als Zuseher die Möglichkeit, sich seine eigene Meinung gegenüber dem Erlebten zu bilden. Luc Dardenne sagt, dass dies das schwerste Drehbuch war, das er je geschrieben hat. Bei der doch recht einfach gestrickten Handlung mag das zunächst seltsam klingen, aber genau diese Reduktion auf die wesentlichen Elemente stellt die größte Stärke der Dardennes da. Egal ob Hochschulprofessor oder Busfahrer: "Le jeune Ahmed" ist für unterschiedlichste Schichten zugänglich und stellt präzise Fragen, auf die es keine leichten Antworten gibt. In nur 84 Minuten wird hier ein komplexes Geflecht an Gefühlen kreiert, aus dem man sich lange nicht befreien kann.

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Zwischen dem 11. und 24. Spetember 2020 findet im Stadtkino Wien eine Retrospektive der Dardenne Brüder statt. Nach der Premiere von "Le jeune Ahmed" am 18. September werden die Filmemacher Live per Video-Stream in den Kinosaal zugeschaltet, um die Fragen des Publikums zu beantworten.

 

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