"Kinds of Kindness": Ein Menschenfinger zum Mittagessen
Von Franco Schedl
Sie haben's schon wieder getan – und sobald Yorgos Lanthimos mit seiner Lieblingsdarstellerin Emma Stone gemeinsame Sache machen, muss man damit rechnen, dass es richtig wild wird. Der Episodenfilm "Kinds of Kindness" enttäuscht in dieser Hinsicht nicht; ganz im Gegenteil, denn der griechische Regisseur findet zu seiner alten Radikalität zurück, indem er uns drei Geschichten erzählt, die vor schwarzem Humor nur so funkeln und jede Menge Rätsel bereithalten.
Da kann es durchaus vorkommen, dass ein menschlicher Finger in der Bratpfanne landet, ein Mann mit seiner Frau nur schläft, sobald ihm sein "Chef" die Erlaubnis erteilt oder Wasser bloß getrunken wird, wenn es die Tränen eines Gurus enthält; auch in eine verkehrte Welt, wo Hunde wie Menschen leben, erhalten wir kurze Einblicke.
Rückkehr an den kreativen Ursprung
Lanthimos hat sich auf seine Ursprünge besonnen, etliche Themen aus seinen ersten Werken wieder aufgegriffen und mit besonders absurden Momenten angereichert. Er macht also dort weiter, wo er vor seinem Wechsel nach Hollywood aufgehört hat. Werke wie "The Favourite" oder "Poor Things" waren natürlich ungewöhnlich genug - vor allem für amerikanische Begriffe -, doch zugleich viel zu geradlinig erzählt. Dass dieser Regisseur noch wesentlich mehr draufhat, beweist er nun mit seinem neuen Film ebenso eindringlich wie ausdrücklich.
Stars in vielen Rollen
Stone, Willem Dafoe, Jesse Plemons und die in "Poor Things" viel zu kurz in Erscheinung getretene Margaret Qualley sind in jeder der drei Geschichten vertreten, spielen aber jeweils andere Charaktere – meist stehen sie dabei im Mittelpunkt, doch in jeweils einer Episode sind sie auch nur Randerscheinungen. Eine einzige (Neben)Figur behält den ganzen Film hindurch ihre Identität bei, was man auch an den Episoden-Titeln erkennt: "The Death of R.M.F.", "R. M. F. is Flying" und "R.M.F. Eats a Sandwich". Wofür dieses Kürzel steht, das von einem weißen Hemd abzulesen ist, wird nie erklärt, aber auf das gesamte Werk bezogen, könnte es "Reichlich mysteriöse Fakten" oder "Richtig meisterhaftes Filmemachen" bedeuten.
Worum geht es hier eigentlich?
Sobald wir versuchen, das geheimnisvolle und völlig unvorhersehbare Geschehen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ließe sich sagen: Es geht um toxische Beziehungen, Abhängigkeitsverhältnisse, Missbrauch von Macht, Unterwerfung bis zum absoluten Gehorsam, schmerzhafte Liebesbeweise und fixe Ideen, die sich bis zu krankhaften Obsessionen steigern können. Wenn man will, lässt sich vor allem eine starke religiöse Thematik herauslesen, denn immerhin tritt Dafoe gleich in der ersten Episode wie ein strafender Gott in Erscheinung, und auch ein Kunststück namens Auferstehung, das einst ein Jesus Christus so gut hinbekommen hat, spielt hier eine wichtige Rolle.
"Kinds of Kindness" ist somit ein Film, nach dem man angeregt verwirrt zurückbleibt. Wer das Kino verlässt, wird garantiert über Tage und Wochen hinweg immer wieder nachgrübeln, wie sich das Gesehene interpretieren lässt; aber selbst wenn es darauf wohl keine eindeutige Antwort gibt, ist eines sicher: Dieses Werk ist gleichermaßen bizarr und berührend, surreal und sensationell. Emma Stone hat somit einen weiteren dicken Stein bei mir im Brett.
4 ½ von 5 Freudentränen in Wassergläsern
"Kinds of Kindness" läuft derzeit in unseren Kinos. Hier geht's zu den Spielzeiten!