"John Wick: Kapitel 4": Blutoper vor Kirschblüten und Eiffelturm
Von Franco Schedl
Am Ende des vorigen Teils – oder Kapitels, wie es vornehmer heißt – war John Wick wortwörtlich am Boden zerschmettert. Nach einem tiefen Fall musst er sich blessiert vom Straßenpflaster aufrappeln und davonhumpeln. Mittlerweile hatte er ja hoffentlich genügend Zeit, sich auszukurieren – denn gerade diesmal muss er topfit sein, um ein besonders intensives Abenteuer zu überstehen, das knapp drei Stunden in Anspruch nimmt.
Über diese Laufzeit darf man sich aber nicht wundern: Immerhin steht hier eine Geschichte im Mittelpunkt, die angeblich von Odysseus inspiriert wurde. Dieser antike Held benötigte damals zehn Jahre für seine Irrfahrten, während es John Wick mit 169 Minuten geradezu zeitsparend fertigbringt, ans Ziel zu gelangen.
Skarsgård als diabolischer Marquis
Sobald "It"-Star Bill Skarsgård ins Spiel kommt, ist klar, dass dem Titelhelden Böses droht. Der schwedische Darsteller trägt zwar keine Clownsschminke im Gesicht, verkörpert aber als Unterwelt-Boss Marquis de Gramont eine mächtige Bedrohung. Seine Armee von skrupellosen HandlangerInnen will Wick an den gestylten Kragen und der (Wick, nicht der Kragen) muss sich in diversen Metropolen wie New York, Berlin, Paris und Osaka gewohnt schlagkräftig zur Wehr setzen.
Als treue Verbündete erweisen sich einmal mehr die alten Vertrauten Bowery King (Laurence Fishburne) und Hotelbetreiber Winston (Ian McShane). Auf welcher Seite der frühere Freund Caine (Donnie Yen) steht, muss sich erst noch zeigen.
Ein riskanter Plan
Wick hat sich jedenfalls nicht verändert: Stur und geradlinig setzt er seine selbstgewählte Mission fort und stellt sich jederzeit einer gegnerischen Übermacht. Es gibt tatsächlich einen Plan, wie sich Wick ein für alle Mal von seinen Problemen befreien könnte, und Winston versorgt ihn dabei mit guten Ratschlägen, weil er selber noch eine offene Rechnung mit der sogenannten Kammer hat.
Die seltsamen Gebräuche dieser weltweiten Killer-Vereinigung kommen wieder voll zum Tragen: Es geht um Verpflichtungen, Loyalität und einen geradezu altertümlichen Ehrenkodex, aber gerade der böse Marquis schreckt auch vor schmutziger Erpressung nicht zurück.
Einfallsreiche Kampfszenen
Dass die zahlreichen Massenkampfszenen nicht langweilig werden, lässt sich durch immer neue, noch gewitztere Choreografien und einfallsreiche Kameraperspektiven vermeiden: Da verlagert sich etwa das Schießen, Stechen und Schlagen mitten in den Pariser Stoßverkehr auf der Champs Elysee, wo Autos unfreiwillig zur Waffe werden und Kämpfer durch die Luft wirbeln.
Das alles scheint in einer Parallelwelt stattzufinden, von der die Normalsterblichen keine Notiz nehmen, denn die Verkehrsteilnehmer bleiben nicht etwa schockiert stehen, sondern fahren einfach davon. Als der Kampf durch einen Berliner Nobelclub tobt, tanzen die Gäste ebenfalls seelenruhig weiter. Manches muss man eben unter "dramaturgische Freiheiten" so hinnehmen.
Duell mit einem Blinden
Zuletzt wird die Treppe zum Sacre Coeur mit ihren 222 Stufen zur Todesfalle. Wick muss über diese Stiegen, um rechtzeitig zum Duell mit einem Blinden (!) zu erscheinen. und wenn er dabei mal selber zu Boden geht, rauscht er nicht etwas nur einen läppischen Treppenabsatz mit 10 Stufen runter, sondern rollt über mindestens 100 davon.
Da macht sich sein stoßfester Spezialanzug, an dem jede Kugel abprallt, wieder mal bezahlt. Apropos Kugeln: Hier verwandeln sich Schusswaffen auch schon mal in echte Feuerwaffen: Es ist halt nur eine Frage der Munition, damit die Betroffenen nach einem Treffer in Flammen aufgehen. Wie war das noch mit "dramaturgischen Freiheiten" ....?
Wick als ewiger Hundefreund
Der Titelheld bleibt übrigens ein überzeugter Hundefreund, auch wenn der aktuelle Vierbeiner gar nicht sein eigener ist, sondern einem Berufskollegen gehört, aus dem schnell ein Todfeind werden könnte. Da es sich um einen echten Kampfhund handelt, wirkt er wie die tierische Variante von Wick: Nachdem er fast durch die Windschutzscheibe eines Wagens kracht, ist er sofort wieder auf den Pfoten, fletscht knurrend das Gebiss - bereit zum nächsten Ansprung. Rex ist hier nix dagegen!
Perfekte Landschaftsbilder
Regisseur Chad Stahelski hat dabei auch immer die perfekten Landschaftsbilder zu bieten. Gleich zu Beginn erleben wir in der Wüste einen Sonnenaufgang mit der optischen Wucht einer Atomexplosion und zum Finale taucht dann ein Morgenrot den Platz vor Sacre Coeur in überirdische Schönheit, die eine regelrecht jenseitige Stimmung erzeugt, was ja zur tödlichen Thematik passt. Auch das Brandenburger Tor oder japanischen Kirschblüten tragen zu den wundervollen Kampfsport-Kulissen bei.
Wir haben es hier eben mit einer hochambitionierten Action-Blutoper zu tun. Ob aber Wick selber in der Lage sein wird, zum Schlussapplaus vor die Leinwand zu treten, sei dahingestellt ...
4 von 5 Hundebisse in die Weichteile
Wo ist "John Wick: Kapitel 4" zu sehen?
"John Wick: Kapitel 4" läuft derzeit in unseren Kinos. Hier geht's zu den Spielzeiten!