Filmkritiken

"How to Have Sex"-Kritik: Exzesskino mit Tiefe

Zu Recht gewann die britische Jungregisseurin Molly Manning Walker den Preis "Un Certain Regard" beim heurigen Filmfestival in Cannes. Der Titel ihres erstens Films "How to Have Sex" ist bewusst irreführend. 

Er zeigt eigentlich, wie man es nicht macht - und zwar nicht mit der Moralkeule, sondern mit ungeheuerlich vielen Feinheiten und unter der Beachtung vieler Grauschattierungen. Ab Donnerstag im Kino.

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Eine britische Version von "Spring Breakers"?

Als die Sonne über der Küstenstadt Malia auf Kreta aufgeht, ziehen drei englische Mädchen im Teenageralter ihre Unterwäsche aus und hüpfen ins Meer. Die Sonne geht auf am Horizont. Das Wasser ist eiskalt, aber sie kichern, fallen sich in die Arme, und schreien "Bester Urlaub!" Molly Manning Walker bereitet so die Bühne für ein knallbuntes Kino der Exzesse, das zunächst wie eine britische Version von Harmony Korines "Spring Breakers" anmutet - minus der Satire.

Die noch minderjährigen Mädchen, sehr stark gespielt von Mia McKenna-Bruce, Lara Peake und Enva Lewis, sind gekommen, um zu tanzen, zu trinken, und um Sex mit Fremden zu haben. Also schlüpfen sie in grüne Neonbikinis und trinken billigen, blauen Punsch, bis am Ende der Nacht die Klomuschel umarmt wird. "Wenn du in diesem Urlaub nicht flachgelegt wirst, wirst du es nie tun", sagt eines der Mädchen zur 16-jährigen Tara (McKenna-Bruce), der Einzigen, die ihre Jungfräulichkeit noch nicht verloren hat und deshalb ziemlich Stress hat.

Zum Glück bieten sich zwei ältere Jungs an (Shaun Thomas und Samuel Bottomley), die im gleichen Hotel wohnen. Und während Tara versucht, ihre Jungfräulichkeit an einen der beiden zu verlieren, folgt ihnen Molly Manning Walker, die in England auch eine etablierte Kamerafrau ist, auf Poolpartys mit Sexspielen und in neonbeleuchtete Bars, in denen elektronische Musik hämmert. Man kann die klebrigen Tanzflächen spüren und den billigen Wodka förmlich riechen. Wenn wir irgendwann das kalte Morgenlicht sehen, haben wir einen Kater nur vom Zusehen.

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Sensibler Umgang mit Sex und Consent

Der eigentliche Horrortrip beginnt in der Mitte des Films, wenn Tara mit einem der Burschen an den Strand geht. Es ist am besten, nicht zu sagen, was genau passiert, denn der Film wird einen viel mehr berühren, wenn man ihn auf eigene Faust entdeckt und auf sich wirken lässt. 

Er stellt ein paar schwierige Fragen nach dem Kennenlernen der eigenen Grenzen und zeigt uns gleichzeitig die hypersexualisierte Kultur, die den Boden für sexuelle Gewalt bietet. Dazu gehören stutenbissige Sticheleien von Freundinnen genauso wie lauter Gruppendruck und Sexspiele, bei denen junge Männer auf offener Bühne Blowjobs bekommen. Wenn ein "Ja" geflüstert wird, zählt es dann? Wenn mein ältester Freund sich schlecht benimmt, beschütze ich ihn? 

Die Autorin und Regisseurin ist souverän genug, um zu wissen, dass es nicht auf alle Fragen klare Antworten gibt. Es genügt, wenn sie es zeigt.

Etwa als Tara am Morgen nach einer unheilvollen Nacht langsam in ihr Hotel zurück stolpert. Das Resort gleicht einer Müllhalde. Die Straßen sind leer, schmutzig und still. Ihre Wangen sind rot und geschwollen. Tränen stechen in ihre Augenwinkel. Und obwohl niemand in der Nähe ist, kann sie sich das Weinen nicht ganz erlauben.