Kritik zu "Herr der Ringe: Die Ringe der Macht": Erwartungen erfüllt?
Von Oezguer Anil
Seit der Ankündigung einer "Herr der Ringe"-Serie waren viele Fans skeptisch. Immerhin gehören die ersten drei Teile zu den besten Filmtrilogien aller Zeiten und haben auch nach 20 Jahren nichts von ihrer Qualität eingebüßt. Mit der "Hobbit"-Trilogie legte Peter Jackson zwar keine völlige Bauchlandung hin, aber kam lange nicht an den Charme des Originals heran. Aus diesem Grund bestanden so manche Zweifel bezüglich der Amazon-Serie "Die Ringe der Macht". Durchaus berechtigt, doch nach den ersten zwei Episoden kann man sagen: "Der Herr der Ringe", so wie wir es kennen und lieben, ist zurück!
Die Serie basiert auf keinem Buch von Tolkien, sondern spielt lediglich in seinem Universum, weshalb man auch ohne jegliches Vorwissen in die Geschichte eintauchen kann. Für Fans wurden zwar immer wieder schöne Referenzen in der Geschichte platziert, doch weder die Lektüre der Bücher noch die bisherigen "Herr der Ringe"-Filme sind eine Voraussetzung, um "Die Ringe der Macht" zu genießen.
Mittelerde-Völker in neuen Perspektiven
Der Prolog gibt uns einerseits einen Einblick in die Kindheit der mächtigen Elbin Galadriel, andererseits auch in die politischen Zustände von Mittelerde. Fast wie in "Herr der Ringe: Die Gefährten" bekommen wir durch eine imposante Montagesequenz das Wichtigste vermittelt und lernen anschließend die zentralen Charaktere kennen. Die Ereignisse finden mehrere Tausend Jahre vor den Abenteuern von Frodo, Aragorn, Legolas, Gimli und Co. statt, weshalb man in das Zweite Zeitalter von Mittelerde eintaucht und die Entwicklung der einzelnen Machtstrukturen mitbekommt.
Große Freude macht sich breit, als man zum ersten Mal die abwechslungsreichen Stimmungen der unterschiedlichen Völker zu sehen bekommt. Dabei hat sich Regisseur Juan Antonio Bayona stark am Original und nicht an der "Hobbit"-Trilogie orientiert. Er hat bewusst auf eine kindliche Ästhetik verzichtet und scheut sich in düsteren Szenen auch nicht vor expliziter Gewalt. Während man die einzelnen Völker bereits aus den vorherigen Filmen kannte, bekommt man sie nun aus neuen Perspektiven zu sehen. Die sonst so zurückgezogen lebenden Elben sind nun die dominierende militärische Macht in Mittelerde und geben auch in den Gebieten der Menschen den Ton an. Wir werden auch tief in die Minen der Zwerge geführt, wo wir deren Bräuche, Ehepartnerinnen und sogar Kinder kennenlernen.
Grandiose Charaktere
Einer der schönsten Überraschungen an "Ringe der Macht" ist, dass die Serie sich die Zeit nimmt, um auf die einzelnen Figuren einzugehen. Auch wenn zahlreiche Konflikte etabliert werden, wirkt die Handlung nicht überladen, sondern entwickelt sich natürlich aus der Psychologie der Figuren heraus. Das könnte für den weiteren Verlauf der Serie von großem Vorteil sein, da man so Stück für Stück an die großen Ereignisse in Mittelerde herangeführt wird. Mit Liebe zum Detail wird ein Einzelkampf zwischen gewöhnlichen Menschen und einem verbrecherischen Goblin gezeigt. Die Furcht und Spannung, die dabei entsteht, ist packend und könnte ein großartiger Referenzpunkt für spätere Kämpfe sein, wenn unsere HeldInnen nicht mehr nur von einem, sondern von hunderten Feinden umzingelt sind.
Auch wenn man sich in einer Fantasiewelt befindet, kann man sich in die Figuren hineinversetzen. Man weiß zwar nicht, wie es sich anfühlt, gegen einen Troll oder einen Goblin zu kämpfen, aber jeder kennt das Gefühl von unbehaglichen Geräuschen in der Dunkelheit und die Angst vor einem gewalttätigen Übergriff. Der Regisseur schafft es, diese menschlichen Ängste mit der Überhöhung einer Fantasiewelt zu verknüpfen und dadurch ein einzigartiges filmisches Erlebnis in der Serie zu kreieren.
Technische Meisterleistung
"Die Ringe der Macht" ist die bislang teuerste Serie aller Zeiten, und das merkt man schon zu Beginn der ersten Episode. Jedes Bild strotzt vor Ideenreichtum und gibt dem Publikum die Möglichkeit, immer etwas Neues zu entdecken. Kontraste, Farben, Oberflächen und Licht harmonieren hier fabelhaft und lassen keinen Zweifel an der Komplexität von Mittelerde. Auch die Kostüme sind sorgfältig designt. Vor allem die Kriegsbekleidung der Elben besticht durch eine Kombination aus Eleganz und Widerstandsfähigkeit.
Auch wenn man sich an die neuen Gesichter erst gewöhnen muss, sind die darstellerischen Leistungen ausgezeichnet. Morfydd Clark verkörpert die kämpferische Natur von Galadriel mit jeder Phase ihres Körpers und ist der emotionale Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Markella Kavenagh spielt die junge Harfüßerin Nori, die große Ähnlichkeit zu Frodo hat und das Leben in ihrer Sippschaft als zu einengend empfindet. Ihre Figur ist äußerst vielversprechend und dürfte bestimmt noch in das ein oder andere Fettnäpfchen treten.
Kompromisslose Galadriel
Bei all der Euphorie für die Serie gibt es auch einen Kritikpunkt, den man nicht außer Acht lassen kann. Auch wenn die Geschichte technisch perfekt und einfühlsam erzählt ist, könnte der Ausgangspunkt der Handlung für ethisch fragwürdige Entscheidungen bei den Figuren sorgen. Der Serie beginnt damit, dass seit Jahren keine dunklen Mächte mehr in Mittelerde ihr Unwesen treiben, doch Galadriel ist überzeugt davon, dass Sauron seine Rückkehr plant. Erzählerisch ist daran nichts auszusetzen, da man so den persönlichen Konflikt von Galadriel mit den politischen Entscheidungen des Elbenkönigs in Kontrast setzen kann und man eine große Bandbreite an Spannungen in den unterschiedlichen Völkern erzeugt.
Es stellt sich jedoch die Frage, was für Ideen dem Publikum damit vermittelt werden sollen. Denn Galadriel vermutet hinter jedem Stein das Böse und ist bereit, ihre eigenen Gefolgsleute zu opfern, um ihre Rache zu vollziehen. Sie ist im Grunde die Anführerin einer staatlichen Eliteeinheit, die vor nichts zurückschreckt, um die politische Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Rückkehr von Sauron und seinen Anhängern ist zwar eine Gefahr für Mittelerde, aber durch die gegebene Faktenlage gibt es keinen Grund, weshalb der Elbenkönig weiterhin Grundrechte einschränken sollte. Galadriels Unverständnis ihm gegenüber ist emotional verständlich, aber moralisch nicht nachvollziehbar, weshalb ihre Kompromisslosigkeit mit Vorsicht genossen werden sollte.
In der realen Welt 2022 polarisieren sich Gesellschaften immer mehr. Anstatt politische Kompromisse zu finden, werden immer wieder rigorose Maßnahmen gefordert, die es immer schwieriger machen, einen gesellschaftlichen Konses zu finden. Das Narrativ von „Die Ringe der Macht“ befeuert diese Polarisierung, da die Gefahr darin besteht, Galadriel kompromisslos zu folgen, ohne ihr Handeln in Frage zu stellen.
Es bleibt offen, ob sie für ihre Taten bestraft wird oder ob ihre Radikalität sich am Ende sogar als der richtige Weg herausstellt.
"Die Ringe der Macht" erscheint am 1. September auf Amazon Prime.