"Gut gegen Nordwind": Vom Charme des Buches ist nichts zu spüren
Von Erwin Schotzger
Online verlieben, ohne den anderen jemals im echten Leben getroffen zu haben. Heute, im Zeitalter der Partnersuche via Tinder & Co ist dieses Szenario nichts Besonderes mehr. Vor 13 Jahren, im Jahr als Daniel Glattauer seinen modernen Briefroman "Gut gegen Nordwind" veröffentlichte, hatte der Gedanke noch einen Hauch von Exotik. Das Buch war ein fulminanter Erfolg. Nicht wegen der originellen Idee des Flirtens und Verliebens via E-Mail. Es war vielmehr der Reiz des geschriebenen Wortes. Die zunächst spitzfindigen, dann sensiblen Texte, die sich Emmi und Leo gegenseitig schreiben, ziehen den Leser in den Bann der Liebesgeschichte.
"Gut gegen Nordwind", der gleichnamige Film mit Nora Tschirner als Emmi Rothner und Alexander Fehling als Leo Leike, hatte daher von Anfang an ein gigantisches Dilemma aufzulösen. Denn es drängt sich schon die Frage auf: Wozu einen Erfolgsroman verfilmen, der ganz wesentlich vom Charme der Schriftform lebt? Hat die Welt darauf wirklich gewartet?
Hat sie nicht. So viel kann man auch sagen, ohne den Film gesehen zu haben. Aber ein Bestseller ist eine gute Marketinggrundlage und außerdem heißt das ja noch lange nicht, dass aus der Grundidee des Buches nicht trotzdem ein bewegender Liebesfilm werden kann. Mit guten Ideen und den richtigen Adaptionen da und dort.
Leider ist genau das nicht passiert!
Keine zündenden Ideen
Regisseurin Vanessa Jopp inszeniert einen langatmigen und mit zwei Stunden viel zu langen Film, in dem Liebe eben nicht das dominierende Gefühl ist. Vielmehr wird der Film über weite Strecken von der Einsamkeit der beiden Hauptfiguren bestimmt. Wir starten mit einer langatmigen Einführung in das Liebesleben des Linguisten Leo Leike, die uns wohl seine "Angst vor echter Nähe" nahe bringen soll. Der Mann hat Liebeskummer. Die E-Mails der noch unbekannten Emma Rothner trudeln nebenbei ein. Später springen wir dann auch ins Leben von Emmi, wie sie von Leo umbenannt wird. Aber auch in ihrer Beziehung dominiert der Alltagsfrust. Schon klar, dass dieses Szenario als Kontrast für die aufkeimende Verliebtheit der Protagonisten dienen soll. Nur leider ist von dieser Verliebtheit nicht viel zu spüren. Diese Emotion bleibt auf der Strecke, stattdessen dominiert der Alltagsfrust. Erst ganz am Schluss gewinnt der Film ein wenig an Schwung. Doch das Feuerwerk der Gefühle kommt zu spät. Viel zu spät.
Nichts vom Charme der Romanvorlage
"Worte sind beides: Maske und Enthüllung", schreibt Leo einmal an Emmi. Das stimmt auch für den halbherzigen Umgang mit der Text-Verliebtheit der Romanvorlage. Die nicht wirklich originellen, aber zur Stimmung passenden Texteinblendungen werden nie konsequent durchgezogen. Bald wird auf Spracherkennungssoftware von Smartphones als Krücke gesetzt. Immerhin kommt das ungeduldige Warten auf das nächste "Ping" im E-Mail-Postfach ganz gut rüber. Aber es wird von einem fast schon laienhaft wirkenden Over-Acting begleitet: Da meist der Darsteller, der nicht im Bild ist, die Dialoge spricht, versuchen Tschirner und Fehling nahezu verzweifelt ihre inneren Befindlichkeiten durch – vermeintlich dezente – Mimik abzubilden. Liebe mag ja ohne Worte funktionieren, aber in diesem Fall kommen die (richtigen) Emotionen einfach nicht rüber.
Zum Schluss entscheidet sich Jopp dann auch noch für eine Abänderung des Buches zugunsten eines klischeehaften Hollywood-Finales. Zuerst Alltagsfrust statt Frühlingsgefühle, dann (zum Ausgleich?) auch noch generisches Liebespathos von der Stange.
"Gut gegen Nordwind" hat nichts vom Charme des Buches. Davon abgesehen misslingt der Film aber nicht nur als Literaturverfilmung, sondern leider auch als Liebesfilm.