"Glass Onion"-Kritik: Im Glas-Haus unter Mona Lisas Augen
Von Franco Schedl
Über so ein Geschenk würde sich wohl jeder Ratefuchs freuen: Bevor es im "Knives Out"-Sequel zu einem Mörderrätsel kommt und Benoit Blanc seine Gehirnzellen anstrengen muss, ist der Scharfsinn von ein paar andere Figuren gefragt:
Vier miteinander befreundete Personen erhalten nämlich je eine mysteriöse Holzbox als Geschenk, die sich erst nach ziemlichen Mühen öffnen lässt und dann eine Denkaufgabe nach der anderen bereithält, bevor sie ihr innerstes Geheimnis in Form einer Einladungskarte enthüllt. Dass man die Box auch mit Brachialgewalt aufbekommt, beweist uns eine fünfte Person.
Die quadratische Gabe stammt vom verspielten Tech-Milliardär Miles Bron (Edward Norton), der seine Freunde des "engsten Zirkels" zu einem Wochenende auf seiner griechischen Privatinsel lädt. Damit nicht genug, stellt er zugleich ein Krimirätsel in Aussicht und deutet seine künftige Ermordung an (womit er ein Murder-Dinner meint).
Gelangweilter Detektiv in Corona-Zeiten
Während der erste "Knives Out"-Film mit einer sehr langen Befragungs-Szene begonnen hat, nimmt die Fortsetzung gleich ab der ersten Minute Fahrt auf, und Regisseur Rian Johnson überbietet sich geradezu mit witzigen Einfällen.
Dave Bautistas Figur, der Influencer Duke Cody, führt sich zum Beispiel mit einem Monolog über "die Brustifizierung Amerikas" ein und kassiert kurz darauf von der eigenen Mutter eine Ohrfeige. Benoit Blanc treffen wir hingegen in der Badewanne sitzend, als er gerade an einem interaktiven Computerspiel scheitert (und sogar bei "Cluedo" ist er ein Versager, wie wir später erfahren). Wir befinden uns nämlich im Jahr 2020 und der Lockdown ist auch an einem Meisterdetektiv nicht spurlos vorübergegangen.
Ein typisches Sherlock-Holmes-Syndrom: Das Fehlen von großen intellektuellen Herausforderungen und Gefahren droht ihn auszulaugen. Zum Glück ist er der sechste Holzbox-Empfänger und das mörderische Spiel kann beginnen, als alle Hauptfiguren, durch Corona-Schutzmasken beinahe unkenntlich gemacht, in einem griechischen Hafen aufeinandertreffen.
Blanc als Partykiller im Glas-Haus
Der richtige Schauplatz ist dann ein Haus, das in Form der titelgebenden Glaszwiebel erbaut wurde, und wo der Gastgeber die ungleichen Freunde erwartet. Sie alle werden durch den Hang zur Grenzüberschreitung geeint, und Blanc erscheint in diesem Kreis zunächst als Außenseiter. Er macht gar keine so geniale Figur, sondern wirkt eher unbeholfen und komisch – etwa, als er sich in einem rauchfreien Garten eine Zigarette anzündet und von einer Computerstimme vertrieben wird.
Zugleich sammelt er aber auch schon die ersten Hinweise auf mögliche Mordmotive, und erweist sich als echter Partykiller, weil er ein Verbrechen klärt, bevor es überhaupt stattfindet. Doch bald darauf holt die auf der Insel isolierte Gruppe eine grausame Realität ein – und das alles passiert vor den unergründlichen Augen der echten Mona Lisa, die als Leihgabe des Louvre in der protzigen Milliardärs-Villa hängt.
Kurzweiliger Humor statt trockenem Whodunit
Obwohl Rian Johnson die Regeln der klassischen Agatha-Christie-Krimis keineswegs verläugnet, wird seine Geschichte niemals zu einem trockenen Whodunit, bei dem ein Ermittler in mühsamer Kleinarbeit Beweise zusammenträgt. Stattdessen kommt die geschickt konstruierte Story noch deutlich lockerer als der erste Teil daher, indem sie immer höchst humorvoll und kurzweilig bleibt – vor allem die zweite Filmhälfte vergeht unglaublich schnell.
Mittendrin gibt es eine ausführliche Rückblende, die uns das soeben Gesehene in anderem Licht erscheinen lässt, und obzwar der/die Schuldige schon ziemlich lange vor dem Ende entlarvt wird, erwartet uns bis zum feurigen Finale voller Glassplitter noch so manche unverhoffte Wendung.
Frau und Mann an Blancs Seite
Ein Benoit Blanc ohne starke Frau an seiner Seite ist offenbar nicht denkbar: War es im ersten Film Ana de Armas, die Wesentliches zur Lösung beigetragen hat, tritt hier Janelle Monáe in einer ähnlich Rolle auf.
Im Privatleben ist Blanc aber nur an Männern interessiert: Im Vorfeld hatte es ja bereits ein Info-Leak zu seiner sexuellen Orientierung gegeben, doch zumindest der Darsteller, den wir als seinen Lebenspartner zu sehen bekommen, wird uns eine freudige Überraschung bereiten.
Kleiner Hinweis: Es ist nicht Jared Leto, der aber als Erfinder eines alkoholhaltigen Kombucha-Getränks ebenfalls indirekt vorkommt, und ebensowenig Jeremy Renner, der sich hier durch eine extrascharfe Chili-Sauce verewigt hat.
Weil wir gerade beim Essen sind: Normalerweis mache ich um Zwiebel einen großen Bogen, aber für diesen Film war es genau die richtige Zutat.
4 ½ von 5 gläsernen Zwiebelringen