„Girl“: Transgender Mädchen in der Identitätskrise
Von Oezguer Anil
Die 15 jährige Lara (Victor Polster) möchte Balletttänzerin werden. Sie schafft die Aufnahmeprüfung für eine der besten Tanzschulen Belgiens und arbeitet hart an ihrem Traum, doch Lara ist anders als die Mädchen in ihrer Klasse. Geboren wurde sie als Junge mit dem Namen Victor, aber ihr männlicher Körper ist ihr fremd. Um ihre Scham im engen Tanzkostüm zu bedecken, überklebt sie ihren Penis mit Klebeband, ein gefährliches Unterfangen, das zu Entzündungen und starken Schmerzen führt. Ihr alleinerziehender Vater unterstützt sie bei ihrer Hormontherapie und Geschlechtsumwandlung, die aus Victor für immer Lara machen sollen.
Schauspielerisches Meisterwerk
„Girl“ ist einer der meistdiskutierten Filme des Jahres. Das Drama basiert auf der Lebensgeschichte der Tänzerin Nora Monsecour, dessen Geschichte Lukas Dhont das erste Mal 2009 in einer Zeitung las. Das Herzstück des Coming of Age-Films ist der Hauptdarsteller Victor Polster. Dhont lud zum Casting sowohl Männer als auch Frauen ein und suchte nach drei spezifischen Qualitäten: Er oder sie musste 14-17 Jahre alt sein, gut tanzen können und schauspielerisches Talent besitzen. Nach der ersten Castingrunde war niemand dabei, der alle diese Aspekte in sich vereinen konnte. Als es an die Castings für die Nebenrollen ging, betrat der damals vierzehnjährige Victor Polster den Raum und konnte den Regisseur von Anfang an überzeugen. Die schauspielerische Leistung in „Girl“ ist anders als alles andere, was man zuvor auf der Leinwand gesehen hat. Neben der emotional äußerst komplexen Figur, spielt auch die Schwierigkeit der Überwindung von körperlichen Grenzen eine große Rolle. Laras Körper passt nicht zu ihrer Umwelt, zum Tanzen sind ihre Füße zu ungelenkig und um eine Frau zu sein hat sie das vermeintlich falsche Geschlecht. Sie lebt in einem Gefängnis, das sich perfekt in Victor Polsters Körper manifestiert. Der junge Darsteller gewann für seine Leistung zahlreiche Preise und ist der Hauptgrund für den Erfolg dieses Filmes.
Debütfilm
Lukas Dhont erhielt für seinen Film den Preis für das beste Erstlingswerk auf den Filmfestspielen von Cannes und wurde für den Golden Globe nominiert. Der Debütfilm des Belgiers erhielt neben zahlreichen positiven Kritiken auch einen Zuspruch an den Kinokassen und konnte weltweit bereits das Dreifache seines Produktionsbudgets von knapp 1,5 Millionen Dollar einspielen. Nach dem ersten Erfolg in Cannes musste der Filmemacher jedoch auch viel Kritik einstecken. Etliche transgender und queere Filmkritiker sehen in dem Film einen ungenauen männlichen Blick auf die Identitätskrise der Hauptfigur. "Girl" beschränke sich zu sehr auf den körperlichen Konflikt von Lara und lasse ihre psychischen Probleme außer acht. Nora Monsecour, auf dessen Biografie die Geschichte basiert, verteidigte Dhont und sagte, dass der Film nicht versuche alle Aspekte von Geschlechtsumwandlungen abzudecken, sondern ihre persönliche Geschichte nacherzählt.
Schockierend
„Girl“ ist ein berührender Film, der unter die Haut geht. Trotz der Nähe, die durch die Kamera aufgebaut wird, verfällt Dhont nie in einen Voyeurismus, sondern porträtiert das Leid von Lara mit der notwendigen Distanz. Eine erschütternde Geschichte, die einen noch lange nach dem Kinobesuch beschäftigt.