Filmkritiken

"Gipsy Queen": Ein Frauenleben als Boxkampf

Das Schicksal hat es mit der jungen Ali aus einer rumänischen Roma-Familie nicht gut gemeint und ihr ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen. Zum Glück ist sie eine geborene Kämpfernatur und ihr Vater hat ihr schon früh das Boxen beigebracht, damit sie sich immer durchschlagen kann. Genau das hat sie auch nötig, denn nachdem der Vater sie verstoßen hat, landet sie schließlich mit ihren beiden unehelichen Kindern in Hamburg, wo sie teilweise entwürdigende Gelegenheitsjobs annehmen muss. Im berühmten Szene-Lokal „Zur Ritze“ erweckt sie das Interesse des abgehalfterten Boxtrainers Tanne (Tobias Moretti), der sofort ihre Ringtauglichkeit erkennt und sie zum großen Kampfstar aufzubauen versucht.

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Selbstfindung einer Frau

Regisseur Hüseyin Tabak wollte mit diesem Film seiner Mutter ein Denkmal setzen: sie ist als 9jährige aus der Türkei nach Deutschland gekommen, hat sich selber Lesen und Schreiben beigebracht und konnte durch unbändigen Fleiß eine eigene Firma aufbauen. Doch im Grunde erzählt Hauptdarstellerin Alina Șerban ihre eigene Geschichte: sie stammt selber aus einer Roma-Familie, wuchs in Bukarest auf, hatte mit Intoleranz und Armut fertigzuwerden, setzte sich für die Emanzipation von Roma-Frauen ein, wurde in die weltberühmte Londoner Royal Academy for Dramatic Art aufgenommen, wo sie Klassenbeste war, spielte Shakespeare-Rollen und trainierte schon zwei Jahre vor dem Dreh zwei bis dreimal pro Woche Boxen. Diese Hingabe an den Sport macht sich nun bezahlt, obwohl "Gipsy Queen" gar nicht in erster Linie ein Boxfilm ist - bevor Ali in den Ring steigt und ernsthaft kämpft, vergehen mindestens 90 Minuten. Stattdessen erleben wir die schwierige Selbstfindung einer Frau, deren Durchhaltewille enorm ist.

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Dramaturgische Schwächen

Hier werden zugleich Erinnerungen an „Die Hölle“ aus dem Jahr 2017 wach – auch damals haben wir Tobias Moretti an der Seite einer kampfsporterprobten starken Frau erlebt. Nur war das gewollt trashige Drehbuch von Stefan Ruzowitzkys Psychothriller um einiges stimmiger, während hier im Frauendrama ein paar Voraussetzungen nicht ganz aufgehen: so bleibt die Figur der erfolglosen Schauspielerin, mit der sich Ali die Wohnung teilt, eher blass und wenig überzeugend. Bereits die Geschichte, wie sich die beiden Frauen kennengelernt haben, will man nicht so recht glauben, denn weshalb sollte Ali, deren Zeit durch Kinderbetreuung und Schuften bis zum Umfallen völlig absorbiert wird, ausgerechnet als einzige Zuschauerin in einem kleinen Theater sitzen und den Auftritt einer One-Woman-Show von Anfang bis Ende mitverfolgen? Die Zuspitzung des Konfliktes mit Alis halbwüchsiger Tochter und der sich daraus ergebende Sorgerechtsentzug wirken ebenfalls zu konstruiert und auf Drehbuchbedürfnisse zurechtgeschnitten; die Szene, in der Ali von ihrem Vater verstoßen wird, könnte aus einem Bollywoodfilm stammen; und dass die praktisch aus dem Nichts kommende Frau dann plötzlich über Nacht in der obersten Liga kämpft, wäre im realen Leben sicher auch nicht möglich.

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Șerban + Moretti als starkes Team

Ein lohnendes Erlebnis bietet der Kinobesuch von "Gipsy Queen" aber auf jeden Fall, denn Alina Șerban ist eine Vollblutschauspielerin, der man gebannt zusieht; und dass man eines Tages Tobias Moretti als Boxtrainer mit norddeutschem Akzent im Kiezmilieu erleben würde, war ebenfalls nicht vorhersehbar. Wie üblich macht sich Moretti auch diese ungewöhnliche Rolle völlig zu eigen und man nimmt ihm den rauen Hamburger Burschen sofort ab.

 

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