"Die Frau des Nobelpreisträgers": Im Schatten eines großen (?) Mannes
Von Franco Schedl
Hätte nicht eigentlich der Nobelpreisträger verdient, hier an erster Stelle zu stehen? Was ist an seiner Frau so Besonderes, dass es die Vorreihung rechtfertigt? Immerhin ist der deutsche Titel noch wesentlich freundlicher als der originale, denn auf Englisch heißt es überhaupt nur noch „The Wife“. Diese Ehefrau scheint also eine wichtige Rolle zu spielen, obwohl die eigentliche Berühmtheit eindeutig Joe Castleman (Jonathan Price) ist. Dieser weltweit gefeierte Schriftsteller erhält 1992 spätnachts einen Anruf aus Schweden und gleich darauf hüpfen er und seine Frau freudig aufgeregt im Bett herum, denn der Nobelpreis ist ihm sicher.
Familienprobleme
Es dürfte eine ausgesprochen harmonische Ehe zu sein, in der sich die beiden alten Menschen schon seit Jahrzehnten gut eingerichtet haben, respekt- und liebevoll miteinander umgehen und alle Höhen und Tiefen gemeinsam meistern. Doch mit der großen Ehre gehen auch große Probleme einher, die sich immer stärker manifestieren, je näher der feierliche Termin rückt. Die beiden Castlemans fliegen in Begleitung ihres Sohnes nach Schweden (ihre hochschwangere Tochter bleibt in Amerika). Mit an Bord des Flugzeugs ist allerdings eine aufdringliche Person: der Autor Nathanial Bone (Christian Slater) lässt keinen Moment ungenutzt, um in näheren Kontakt mit Coleman und dessen Angehörigen zu kommen, weil er eine Biografie über den Meiste der Worte schreiben will.
Schriftstellergeheimnis
Der zeremonielle Empfang kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine gewisse Spannung in der Luft liegt und in den folgenden Stunden und Tagen wird die Stimmung bei allen Beteiligten immer gereizter. Der lästige Mr. Bone sät bei jeder sich bietenden Gelegenheit Zwietracht (zum Beispiel weist er auf Colemans notorischen Hang zur Untreu hin) und schließlich bahnt sich auch eine wichtige Enthüllung an. Das größte Problem mit diesem Film ist aber, dass er ein Geheimnis lüften will, das längst keines mehr ist, weil wir schon lange geahnt haben, worauf die Geschichte hinauslaufen wird (noch offensichtlicher wird es, wenn man vorher den Trailer gesehen hat). Auch am Ende macht es sich das Drehbuch - bzw. die Romanvorlage von Meg Wolitzer - dann ziemlich leicht und zieht sich mit einer Radikallösung aus der Affäre.
Rückblenden
Was mich persönlich bei Filmen dieser Art aber immer am meisten stört, sind die offenbar unverzichtbaren Rückblenden: wir müssen unweigerlich vorgeführt bekommen, wie die Protagonisten 35 Jahre früher ausgesehen, gelebt und einander kennengelernt haben. Die spätere Frau des Nobelpreisträgers war eine ambitionierte junge Autorin, deren Talent von ihrem damaligen Literaturprofessor Joe Castleman anerkannt wurde, doch nach der Eheschließung mit ihm hat sie das Schreiben offenbar aufgegeben. Oder etwa doch nicht? Wie gesagt, das Geheimnis liegt für uns fast unverhüllt zutage. Es geht um weiblichen Verzicht auf Karriere, unterdrückte Ambitionen und Lügen in einer (Literatur)Welt, die von Männern beherrscht wird. Wenn der große Autor eine Geschichte seines Sohnes kritisiert, der sich ebenfalls als Schriftsteller versucht, dann führt er an, das Motiv der unterdrückten Ehefrau, die den Zorn in sich hineingefressen hat, sei einfach zu klischeehaft. Gefährlich hochmütige Worte, wenn man bedenkt, was gerade um ihn herum vorgeht; aber natürlich ist man bei der Thematik, die einen selbst am meisten betrifft, oft auf beiden Augen blind.
Gerechtigkeit
In dieser nicht gerade überwältigenden Story ist zumindest Glenn Close ein echter Lichtblick und spielt eindrucksvoll eine Frau mit verborgenen Talenten, die ihr ganzes Leben in den Dienst ihres Mannes gestellt hat. Im Wahrheit liegen die Dinge sowieso völlig anders: Close wurde für einen Oscar nominiert, ihr Filmpartner Jonathan Price ist hingegen leer ausgegangen. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit.
3 ½ von 5 stark korrigierten Manuskriptblättern