"Deutsches Haus": Lohnt sich die Miniserie auf Disney+?
Von Maike Karr
In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und stellen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?
Diesmal: (Die ersten zwei Folgen von) "Deutsches Haus" auf Disney+
Worum geht's in "Deutsches Haus"?
Die Disney+-Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Annette Hess und erzählt von dem Frankfurter Auschwitz-Prozess im Jahr 1963, der viele Menschen, einschließlich der jungen Dolmetscherin Eva Bruhns (Katharina Stark), dazu zwingt, sich den Massentötungen, die während des Zweiten Weltkriegs stattgefunden haben, zu stellen.
Als Dolmetscherin ist Eva Bruhns an den Erzählungen der Ereignisse des Holocausts nicht nur hautnah dabei, sondern muss diese auch selbst wiedergeben und verschafft somit den Zeug:innen das Gehör, das sie verdienen. Während ihr im Gericht die Augen geöffnet werden, erlebt sie, wie ihre Eltern zu Hause weiterhin die Augen vor den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs verschließen – wie ein Großteil der Bevölkerung auch. Doch mit dem Auschwitz-Prozess steht ein Wandel im "Deutschen Haus" (der Gaststätte der Bruhns) und der deutschen Bevölkerung an.
Erschütternd und ergreifend
Die Romanverfilmung wählt den richtigen Ton und Fokus, um über die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs zu sprechen. Sie schockiert und berührt, ohne ins Melodramatische abzurutschen. Sie versteht es, die Ernsthaftigkeit und Tragik des Zweiten Weltkriegs mit der nötigen Ruhe und Seriosität umzusetzen.
Dadurch entfalten die Berichte über die Geschehnisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau eine viel größere Wirkung. Evas Erkenntnisse über den Holocaust bewegen und erschüttern zutiefst. Das Gesagte eröffnet Bilder im Kopf und hallt noch für lange Zeit nach.
Die Omnipräsenz des Grauens im Gerichtssaal
Überraschenderweise bekommt man in den ersten zwei Folgen von "Deutsches Haus" das Grauen nicht zu Gesicht. Das muss man jedoch auch nicht, denn dieses ist im Gerichtssaal omnipräsent. Man sieht es in den Gesichtern der Zeug:innen, der Staatsanwaltschaft und nicht zuletzt in dem von Eva Bruhn selbst, die die Überbringerin der grauenvollen Ereignisse ist.
Die Massenvernichtung im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zu zeigen ist also gar nicht notwendig, denn so erfahren wir vom Holocaust, wie die Menschen das damals auch getan haben (wenn sie sich darüber nicht schon längst – unterbewusst – im Klaren waren): über Schilderungen von Zeitzeug:innen. So bietet die Serie eine authentische und realitätsnahe Wiedergabe der Konfrontation mit dem Holocaust.
Massenverdrängung trifft auf unmittelbare Konfrontation
Zu glauben, dass Millionen Menschen durch den Holocaust ums Leben gekommen sind, verlangt, sich einzugestehen, dass der Mensch zu solchen unvorstellbar schrecklichen Verbrechen imstande ist. Daran nicht zu glauben, macht sie beinahe ungeschehen, aber nur beinahe. Diese Sicht der Dinge wird vor allem durch die Eltern von Eva vermittelt.
Hier ist das Vergessen und das Verdrängen des Holocausts und das Schweigen darüber allgegenwärtig und steht stellvertretend für den gesellschaftlichen Umgang damit. Der Frankfurter Auschwitz-Prozess, der in "Deutsches Haus" dargestellt wird, zeigt, wie erschreckend wenig nach zwei Jahrzehnten die eigene Geschichte aufgearbeitet wurde.
Mit dem Prozess findet das nun ein Ende. Die Konfrontation verlangt von Jeder/m eine Auseinandersetzung mit den Ereignissen. So schmerzhaft es auch sein mag, so notwendig ist es auch für ein individuelles und vor allem gesellschaftliches Weiterkommen. Nur so können die Betroffenen Gerechtigkeit finden und den Weg der Heilung antreten. Dadurch ist die Serie nicht nur historisch, sondern auch psychologisch höchst interessant und spannend.
Antisemitismus immer noch vorherrschend
Die Disney+-Serie hätte tragischerweise kein passenderes Startdatum wählen können. Natürlich ist es immer wichtig, um aus einer neuen Perspektive über den Holocaust zu berichten, sich darüber auszutauschen und darüber nachzudenken. Doch mit dem Israel-Palästinensischen Konflikt, der durch den Angriff der Hamas auf Israel einen neuen tragischen Höhepunkt gefunden hat, und den dadurch erneut aufflammenden Antisemitismus, ist "Deutsches Haus" und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem Frankfurter Auschwitz-Prozess aktueller denn je.
Laut der "Süddeutschen Zeitung" zieht Iris Berben, die in "Deutsches Haus" eine Jüdin spielt, selbst Parallelen zwischen der Disney+-Serie und dem anhaltenden Konflikt in Israel. Die Schauspielerin setzt sich seit mehreren Jahrzehnten gegen Antisemitismus ein, wofür sie vom Zentralrat der Juden in Deutschland auch 2002 ausgezeichnet wurde.
4 von 5 Sternen
Für Fans von: "Der Vorleser", "Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss" und Holocaust-Filmen im Allgemeinen (z.B. "Schindlers Liste")