"Der Tränenmacher": Wieso der Film eine pure Enttäuschung ist
Von Selma Tahirovic
"TikTok made me do it!" Genau das dachte ich mir, nachdem ich auf Netflix den Film "Der Tränenmacher" anklickte. Als Fan von Dark-Romance-Romanen war ich absolut aufgeregt, den Streifen zu sehen. Immerhin ist die Geschichte von einer italienischen Buchvorlage adaptiert, die wohl auch bald auf Deutsch erscheinen soll.
Ich freute mich auf herzzerreißende Szenen, heiße Küsse und eine Achterbahn der Emotionen. Nun gut, ich habe während der knapp zweistündigen Spielzeit das ganze ABC der Gefühle durchgespielt: von Cringe bis Fassungslosigkeit löste "Der Tränenmacher" einiges in mir aus.
Aber vor allem empfand ich Enttäuschung, denn während der Film in den Sozialen Medien und vor allem auf Booktok (einer "Ecke" auf TikTok, die sich vor allem mit Büchern auseinandersetzt) geyhypt wurde, saß ich schlussendlich kopfkratzend da. "Was zur Hölle war das denn?", fragte ich mich, als die End-Credits über meinen TV flatterten. Dieser "Netflix-Hit" war eher ein Lowlight der letzten Wochen.
Worum geht es in "Der Tränenmacher"?
Doch zuerst von vorne: Was passiert überhaupt in dem Teenie-Drama? Im Mittelpunkt stehen die sanftmütige Nica und der mysteriöse Rigel. Die beiden Teeanger:innen sind gemeinsam in einem Waisenhaus aufgewachsen, das alles andere als schön für sie war. Misshandlungen und Terror standen dort an der Tagesordnung. Die 17-Jährige verlor ihre Eltern bei einem Autounfall, Rigel kennt seine Mutter als auch seinen Vater nicht und bekam seinen Namen sogar von Margaret, der grausamen Leiterin des Waisenhauses.
Nica hört in ihrer trostlosen Kindheit häufig von dem Märchen des Tränenmachers, eines geheimnisvollen Handwerkers, der alle Ängste und Befürchtungen in den Herzen der Menschen erzeugt. Der Film impliziert, dass Nica und Rigel sich als Kinder nie miteinander verstanden hatten, doch als sie plötzlich gemeinsam von dem Ehepaar Milligan adoptiert werden, müssen sie ihren Alltag zusammen bewältigen. Huch, jetzt kommt's: Zwischen den Teenies entwickelt sich eine verbotene Liebe, die vor allem von Lust und Traumata geprägt wird. Na bumm!
5 Gründe, warum "Der Tränenmacher" ein wirklich sauschlechter Film ist:
1. Seichte Charaktere, wenig Inhalt
Obwohl die Geschichte großes Potenzial hätte, kommt diese im Film gar nicht zur Geltung. Caterina Ferioli (Nica) und Simone Baldasseroni (Rigel) haben zwar eine gute On-Screen-Chemistry, doch die Entwicklung ihrer Liebesgeschichte wirkt unnatürlich und gehetzt. Obwohl der Film eine Stunde und 45 Minuten lang ist, wird er mit unnötigen und nichtssagenden Füllszenen geschmückt. Auch ein Recap von in dem Film bereits gesehenen Szenen am Schluss wirkt eher wie der Versuch eines/einer verzweifelten Schülers/Schülerin, bei der Deutschschularbeit mithilfe von mehreren Fremdwörtern auf die gewünschte Wortanzahl zu kommen.
Zudem haben die Charaktere im Film die emotionale Tiefe einer Pfütze und eine genauso spannende Persönlichkeit wie eine Kartoffel. Der Plot an sich weist ebenfalls mehrere Lücken und Unstimmigkeiten auf. Mehrmals hat man während des Filmes das Gefühl, dass vielleicht eine übernatürliche Komponente bei "Der Tränenmacher" eine Rolle spielt. Dabei ist dieses "mysteriöse" Gefühl absolut aus der Luft gegriffen und verwirrend.
Obendrauf fühlen sich manche Charaktere "unnötig" an, zum Beispiel die Freundin des verstorbenen Sohnes der Milligans. Anstatt eine unangenehme Szene mit einem emotionalen Ausbruch ihrerseits zu zeigen, hätte man sich mehr auf die Beziehung der Hauptprotagonist:innen konzentrieren können. Das Ende war dementsprechend überrumpelnd und viel zu schnell zusammengefasst (das Gute daran: Dieser cineastische Horror war endlich vorbei!)
2. Keine Erklärung der Hintergrundstory
Wenn man sich den Film ansieht, hat man permanent das Gefühl, dass man bestimmte Szenen oder Handlungsstränge verpasst hat. Zwar wird in dem Film beschrieben, dass sich Nica und Rigel nie im Waisenhaus verstanden hätten, gezeigt wird es jedoch nicht wirklich. Auch wann sich diese "unsterbliche Liebe" zwischen den beiden Teenies entwickelt haben soll, ist unklar. In einer späteren Szene wird impliziert, dass Rigel von Beginn an in das Waisenmädchen verliebt war. Wann dieselben Emotionen bei Nica aufkeimten, wird nicht gezeigt. Hat Regisseur Alessandro Genovesi etwa noch nie etwas von der goldenen Film-Regel "Show, don't tell" gehört?!
Auch in Bezug auf die sexuelle Anziehung zwischen den beiden Teenies, die, obwohl sie sich angeblich hassen, sofort vorhanden ist und es bei manchen Szenen so wirkt, als ob sie bereits im Waisenhaus miteinander intim geworden wären, wirkt irritierend. Jedoch küssen sich die beiden Adoptivgeschiwster fast bis zum Ende des Filmes nicht wirklich, was schnell für Frustration sorgt. Stattdessen gibt es mehrmals Szenen, in denen Rigel die Wange oder den Bauch seiner Liebsten leckt. Soll das etwa erotisch sein?! Fremdschämen vorprogrammiert!
Aber auch andere Story-Details bleiben unklar:
So wird nie erklärt, warum Rigel von der Waisenhausbesitzerin Margaret bevorzugt wird, während alle anderen Kinder im selben Haus bestraft wurden. Auch die Tatsache, dass Rigel permanent krank ist und angeblich schon längst am Kopf operiert werden hätte sollen, wird nicht mehr behandelt. Genauso wie die Pflaster, die Nica permanent an ihren Fingern trägt. Zu Beginn des Netflix-Hits wird erklärt, dass die Protagonistin gerne mit Tieren arbeiten würde und sich dabei oft verletzt hätte. Gegen Ende des Filmes nimmt die Jugendliche die Pflaster in einer Art der "Selbstbereifung" ab. Was genau dahintersteckte, ist bis dato unklar.
3. Konsens ist nicht vorhanden
Vor allem bei Dark-Romance-Geschichten wird Konsens gerne in die "Grauzone" der Toleranz geschoben. In vielen Büchern ist das Verhalten der meist männlichen Protagonisten gerade noch so akzeptabel, dass es nicht als "komplett übergriffig" abgestempelt wird. Dass dies ein absolut toxisches Bild einer Liebesbeziehung zeichnet, ist für Erwachsene wohl nachvollziehbar – bei Jugendlichen ist das wohl nicht ganz klar.
Im Film wird Nica mehrmals von Rigel ohne ihre Zustimmung berührt und eingeschüchtert. Er macht sie heiß und lässt sie im selben Moment wieder fallen, um sie so zu manipulieren, bis sie nicht von ihm loskommt. Was sexy und verführerisch rüberkommen soll, wirkt eher aufdringlich und gruselig, vor allem, da beide Charaktere minderjährig sind. In einer anderen Szene wird Nica von Lionel, einem Schulkameraden, mit dem sie auf ein paar Dates ging, bedrängt und beinahe vergewaltigt. Als sie Rigel ganz unerwartet aus der Situation rettet, hat sie anschließend Sex mit ihm. Denn genau das tut man eben nach solch einer traumatischen Erfahrung ...
Die Konsensmissachtung erstreckt sich auch auf zwei weitere Protagonistinnen – und zwar auf die besten Freundinnen Billie und Miki. Miki ist heimlich in Billie verknallt und als diese auf ihrem Bett schläft, küsst sie Miki einfach, wobei Nica sie erwischt. Anstatt sie darauf hinzuweisen, wie falsch und unheimlich ihr Verhalten ist, sagt Nica fast nichts zu den Geschehnissen. Im Laufe des Filmes gesteht Miki ihrer besten Freundin ihre Liebe. Was danach mit ihrer Freundschaft passiert oder ob Billie die Gefühle erwidert, wird (wieder mal!) nicht mehr behandelt.
4. Besessen und begehrt: Der "New Students"-Effekt
Zwar typisch für Dark-Romance-Geschichten, aber dennoch extrem nervig ist auch der, wie ich ihn gerne nenne, "New Students"-Effekt. Als die Adoptivgeschwister an die neue Schule kommen, scheinen alle Schüler:innen von den Neuankömmlingen betört und beeindruckt zu sein. Dieses Phänomen kann man unter anderem auch bei Bella Swan in der "Twilight"-Reihe beobachten, ist aber absolut unglaubwürdig. Während Rigel von den weiblichen Teenies angeschmachtet wird, wird Nica gleich von Lionel umgarnt. Dieser ist so sehr von ihr besessen, dass er sie stalkt und anschließend sie und Rigel überfahren will, als er herausfindet, dass sein Schwarm ihren Adoptivbruder liebt.
Hier bleibt die Frage, warum Lionel von der Jugendlichen von Anfang an so eingenommen war, immerhin hatten sie kaum eine richtige Konversation oder Beziehung geführt, geschweige denn sich geküsst. In einer Szene wird sogar darauf hingedeutet, dass Lionel mit einem Freund lästert, dass er die hübsche Jugendliche "rumkriegen" wird. Darauf wird aber anschließend nicht mehr eingegangen (huch, ganz etwas Neues!).
Wahrscheinlich war die Laufzeit des Filmes wohl zu kurz, um die Themen Stalking und "Break up Violence" (Gewalt nach einem Beziehungsaus) zu behandeln. Hier ging jedoch das Potenzial verloren, solche ernsthaften Themen länger und detaillierter zu behandeln sowie darüber aufzuklären – vor allem, da die Zielgruppe des Filmes Jugendliche sind.
5. Unrealistische Momente und Handlungsstränge
Dass Romanzen nicht unbedingt unser reales Leben widerspiegeln, ist kein Geheimnis. Dennoch gibt es in dem Film so viele unrealistische Momente und Handlungen, dass man aus dem wilden Kopfschütteln gar nicht herauskommt. Neben dem oftmals fehlenden Konsens ist auch die Szene, in der Lionel das junge Liebespaar auf einer Brücke überfahren möchte, extrem unlogisch. Warum waren alle drei Personen plötzlich auf der Brücke und warum sind Nica und Rigel nicht einfach auf das Geländer geklettert, anstatt ins kalte Wasser zu springen und Rigel ins Koma zu befördern?! (Dass man sich einfach mal so entschließt, jemanden zu überfahren, ignorieren wir an dieser Stelle einfach, weil ... is eh scho egal!)
Auch, dass die Adoptiveltern nicht mitbekommen, dass Nica und Rigel ineinander verliebt sind, sorgt für beinahe pathologisches Kopfkratzen. Abgesehen davon, dass es zwei pubertierende Teenies sind, die ihre Hormone teilweise nur schwer im Griff haben, wird beim Gerichtsprozess gegen die Waisenhausleiterin von Nica bestätigt, dass sie in Rigel verliebt ist. Dabei sieht man absolut keine Reaktion seitens der Adoptiveltern.
Ebenfalls unrealistisch: Die 17-Jährige erzählt vor Gericht von den Gräueltaten in ihrer Kindheit; nach der Rede bekommt sie tosenden Applaus und läuft aus dem Gebäude, um zu ihrem Liebsten ins Krankenhaus zu laufen. Dort erzählt sie ihm, dass sie den Gerichtsprozess gegen Margaret gewonnen hätten – im Film selbst wurde jedoch nie die Urteilsverkündung gezeigt. Aber wir glauben das einfach mal, denn schlucken müssen wir in diesen knapp zwei Filmstunden ohnehin eine Menge. Anschließend weint sie in seinem Schoß und durch ihre Tränen erwacht der Jugendliche wieder. Da bekommt Wunschdenken eine ganz neue Bedeutung. Und als wäre das alles nicht so strunzdumm, könnte man sogar selbst eine Träne zerdrücken.
Fazit
Was ich aber dann tatsächlich getan habe. "Der Tränenmacher" ist seinem Titel gerecht geworden und hat bei mir tatsächlich Tränen gemacht – aber nur deshalb, weil der Film so abgrundtief schlecht war. Und ich diese verlorene Lebenszeit nie mehr zurückbekommen werde. Kurz: Ich habe nichts erwartet und wurde trotzdem enttäuscht.
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