Filmkritiken

"Black Widow" auf Disney+: Abgesang auf eine Marvel-Heldin

Es beginnt mit einem überstürzten Aufbruch im Ohio des Jahres 1995 und es endet mit…

Ha, reingefallen, das werde ich jetzt natürlich nicht verraten! Aber ich möchte zumindest ein anderes Geständnis loswerden: Ich muss zugeben, dass ich Scarlett Johanssons Black Widow im Vergleich mit den übrigen Marvel-Figuren immer für einen relativ uninteressanten Charakter gehalten habe und skeptisch gewesen bin, ob sich ein eigener Film mit ihr überhaupt lohnt.

Doch hier erweist sich, dass unter der richtigen Regie und dank passendem Drehbuch sehr viel herauskommen kann, noch dazu wenn man solch kräftige Unterstützung in Gestalt von David Habour und Florence Pugh erhält.

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Auffrischung des Marvel-Wissens

Die eigentliche Handlung von Cate Shortlands Film ist ins Jahr 2016 verlegt und es kann nicht schaden, sich zur Vorbereitung noch einmal "Avengers: Civil War" anzuschauen, denn genau dort nimmt "Black Widow" die Erzählung wieder auf.

Natasha ist in Norwegen untergetaucht, als sie auf spektakuläre Weise einen Koffer mit wichtigem Inhalt zugespielt erhält, der sie schließlich nach Budapest – oder in Johnassons Aussprache Budapescht – führt. Dort erwartet sie die Auffrischung einer lange zurückliegenden Bekanntschaft, und wie es sich für eine Superheldin gehört, findet diese Begegnung zunächst in heftiger Kampfform statt.

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Bond-Anleihen

Was darauf folgt, sind Ereignisse, mit denen auch der beste Mann vom britischen MI6 ohne allzu großen Schweißverlust fertig würde – und das ist zugleich der einzige Kritikpunkt: Die Handlung läuft viel zu sehr nach Bond-Schema ab.

Sogar der Bösewicht ist ein klassischer 007-Schurke, der an einem entlegenen Ort in einer Art High-Tech-Festung residiert und selbstverständlich die Weltherrschaft anstrebt.  Da er Experte darin ist, auf chemischem Weg seine Mitmenschen zu beeinflussen, kann er praktisch mit einer Handbewegung auf eine Armee willenloser Kämpferinnen – eben die Black Widows – zugreifen.  

Immerhin verkörpert Ray Winstone den bulligen Gewalt-Lackel so erschreckend professionell, dass im Vergleich dazu Kenneth Branaghs Russen-Nummer in "Tenet" zur reinsten Schmieren-Komödie absinkt.

Der Schlusskampf gipfelt dann erwartungsgemäß in einer allgemeinen Zerstörung, die erst recht an Daniel Craig und seine numerischen Vorgänger denken lässt. Hier wurde das alles aber zumindest ins Weibliche gewendet.

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Taskmaster und seltsame Familie

Weil wir gerade bei den Schurken waren: Da gibt es noch als ultimative Bedrohung ein roboterhaftes Wesen namens Taskmaster in einer regelrechten Iron-Man-Rüstung. Wer sich hinter dieser metallischen Totenkopf-Maske verbirgt, wird natürlich im Lauf des Films ebenfalls gelüftet. Dadurch kommt eine emotionale Erkenntnis auf Black Widow zu, die eng mit ihrer Vergangenheit verknüpft ist.

Stichwort Vergangenheit: Wir erleben eine außergewöhnliche Familien-Zusammenkunft auf Marvel-Art. Nicht von ungefähr zählt zu den besten Szenen nicht etwa eine der bombastischen Action-Sequenzen, sondern ein sehr ruhiger Abschnitt, bei dem sich ein seltsames Quartett um einen Esstisch versammelt – nicht zu vergessen, die Anwesenheit eines besonders klugen Hausschweins –, und dabei Erinnerungen auskramt und in alte Verhaltensmuster verfällt.

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Harbour und Pugh

David Harbour (Sheriff Hopper aus "Stranger Things") erinnert mit seiner Riesen-Statur und dem wilden Vollbart an einen russischen Santa Clause, ist aber eigentlich ein Super-Soldat namens Red Guardian und gleicht einer Naturgewalt. Außerdem verfügt der Schauspieler über unglaublich komische Talente, die er hier voll zum Einsatz bringen kann.

Noch mehr Aufsehen erregt Florence Pugh als Natashas schwesterliche Freundin und Kampfgefährtin Yelena: immerhin haben sie beide dieselbe Ausbildung im sogenannten Red Room durchlaufen, stellen sich dann gegen den üblen russischen Drahtzieher und begegnen allen Herausforderungen und Gefahren gemeinsam.

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Eine Darstellerin ihres Formats ist für ein Superhelden-Franchise der reinste Glücksfall, und Marvel kann froh sein, dass nicht schon viel früher die Konkurrenten von DC auf den Gedanken gekommen sind, Pugh ein Rollenangebot zu unterbreiten.

Obendrein verfügt die durch "Midsommar" bekannt gewordene Britin noch über eine ganz spezielle Qualität: Johanssons Stimme in ihrem unverwechselbaren Timbre ist ja bereits legendär, doch Pugh kann da locker mithalten und ihre so lässig dahingeheiserten Sätze gehen richtig ins Ohr.

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Post-Credit-Szene

Und ja, das Aussitzen des rund fünfminütigen Abspanns macht sich tatsächlich bezahlt, denn es gibt eine Post-Credit-Szene, die zugleich Abschied und Neuanfang signalisiert, indem sie zweifellos zu einer künftigen Marvel-Serie überleitet. Sogar ein "Black Widow"-Sequel ist unter diesen Voraussetzungen denkbar, wenn auch nicht unbedingt Johansson die Hauptrolle spielen wird.

Ich vergebe 4 von 5 klugen Schweineblicken.

Seit 6. Oktober können alle Disney+-AbonnentInnen "Black Widow" ohne Zusatzkosten streamen.