Filmkritiken

"Berlin Alexanderplatz" auf Netflix: Wie wird man ein guter Mensch?

Nachdem Francis (Welket Bungué) beinahe im Mittelmeer ertrunken wäre, strandet der Flüchtling aus Guinea Bissau in Europa. Bei seiner Ankunft schwört er sich von nun an ein guter Mensch zu sein. Er kommt nach Berlin, wo er beginnt illegal auf einer Baustelle zu arbeiten. In seinem Asylheim lernt er Reinhold (Albert Schuch) kennen, der psychisch zwar nicht ganz gesund zu sein scheint, aber die Hoffnungen von Francis ernst nimmt. Er wolle vom Leben doch mehr als nur ein Bett und ein Butterbrot, zum Leben gehöre doch auch ein Fernseher, ein Auto und eine Freundin, all das will Reinhold ihm ermöglichen. Francis solle einfach nur Drogen für ihn verkaufen.

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Expressiv

"Berlin Alexanderplatz“ ist ein fünfteiliges Epos, in dem man Francis auf seinem Weg nach einem besseren Leben begleitet. Ausgehend von dem 1929 erschienenen Roman Döblins, transportiert Regisseur Burhan Qurbani die Geschichte von Franz Biberkopf ins heutige Berlin und macht aus der Hauptfigur einen afrikanischen Flüchtling. Zahlreiche Filme behandelten in den letzten Jahren die Flüchtlingsthematik, doch Qurbani setzt mit seinem Werk neue Maßstäbe. Der Filmemacher interessiert sich nicht für einen Pseudonaturalismus, dem er selbst schon mit seinen bisherigen Filmen zum Opfer gefallen ist, sondern stilisiert die Geschichte so sehr, dass sie zur existenziellen Metapher mutiert. Francis taucht ins neonlichtgetränkte Berlin und wird dabei von einer imposanten Tonkulisse begleitet.

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Ensemble

Schauspieltechnisch zeigt sich das deutsche Kino hier von seiner besten Seite. Jella Haase hat es nach ihrem Durchbruch mit "Fack ju Göhte“ geschafft, sich als wandelbare Schauspielerin zu positionieren, die keine Angst vor ambivalenten Figuren hat. Den Hauptdarsteller Welket Bungué entdeckte Burhani durch einen Film, den er 2017 auf der Berlinale sah. Bungué und Haase harmonieren perfekt miteinander, doch ihre Beziehung wird durch den impulsiven Reinhold, gespielt von Albrecht Schuch, auf die Probe gestellt. Schuchs Portrait eines gebrochenen Mannes, der seiner Umwelt eine Persönlichkeit vorspielt, gehört weltweit zu den besten darstellerischen Leistungen der letzten Jahre. Er transformiert sich in eine manische Person, die er mit jeder Faser seines Körpers zum Leben erweckt. Jeder Satz wirkt glaubwürdig und jede Geste erforderlich – ganz große Schauspielkunst, die verdienterweise mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

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Realitätsfern

So imposant die Welt auch sein mag, die Qurbani hier kreiert hat, so bieder ist seine Herangehensweise an die großen Themen. Außerhalb seiner Hauptfigur wird jegliche Ambivalenz ausgeblendet. Die Beweggründe der Figuren müssen sich dem expressiven Stil unterordnen und sozial-politische Rahmenbedingungen werden ignoriert. Keine staatliche Instanz wird hier ernsthaft thematisiert, weshalb man das Gefühl hat, dass sich Francis in einer Art Wild West Berlin befindet, in dem nur der Stärkste überlebt. So sehr man die europäische Flüchtlingspolitik auch kritisieren kann, wirkt diese Vereinfachung einer komplexen Welt reaktionär und unzeitgemäß. Damit einher geht die psychologische Unglaubwürdigkeit der Figuren. Francis scheitert an einer Gesellschaft, die ihn an den Rand des Wahnsinns treibt, aber ist in keiner Sekunde fähig, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen.

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"Berlin Alexanderplatz“ ist ein Epos, über das man sich streiten kann und das ist gut so. Selten war ein Film mit drei Stunden Laufzeit so kurzweilig. Man wird in die Großstadt hineingezogen und könnte ruhig noch drei weitere Stunden in Qurbanis Universum verbringen. Der beste deutsche Film seit "Toni Erdmann“.

"Berlin Alexanderplatz" ist ab sofort auf Netflix verfügbar.