Filmkritiken

Eine Collage aus der Hölle

5. April 1994. Ein Tag, der die Rockwelt nachhaltig prägte: Nirvana-Frontmann Kurt Cobain schob sich im Heroinrausch die Schrotflinte in den Mund, drückte ab und setzte so seinem Leben ein frühes Ende. Das Ende einer Legende – und der Beginn einer bis heute andauernden Mystifizierung.

Über Kurt Cobain, seine Musik und Probleme wurde bereits alles gesagt, analysiert und gedeutet: 21 Jahre nach seinem Suizid hat die Menge an Büchern, TV-Beiträgen und Filmen ein unüberschaubares Ausmaß angenommen. Doch das Ende der kommerziellen Ausschlachtung von Cobains Biografie scheint noch nicht erreicht zu sein. Denn mit "Montage of Heck" (" Collage aus der Hölle") erscheint eine weitere cineastische Abhandlung über den Sänger und Gitarristen von Nirvana, einer der populärsten Rockbands der Welt.

Der Dokumentarfilm des Regisseurs Brett Morgen, der in "Crossfire Hurricane" bereits die Karriere der Rolling Stones verfilmte, ist aber zum Glück mehr als nur eine Fußnote zum Mythos Cobain. Das liegt etwa am glücklichen Umstand, dass ihm der Zugang zum unveröffentlichten Nachlass der Rocklegende gewährt wurde – abgesegnet von Cobains Frau Courtney Love und deren gemeinsamer Tochter Frances Bean, die auch als Produzentin des Films angeführt wird.

Brett Morgen durfte sich also durch Material wühlen, das anderen Filmemachern verwehrt blieb: Tagebucheintragungen, Videomaterial, Notizen, Skizzen, Zeichnungen, Demo-Aufnahmen und Fotos. Cobain habe, so Morgen, eine der "detailliertesten und umfassendsten visuellen und akustischen Autobiografien hinterlassen, die ich je gesehen habe".

Die Geschichte, die er mit Archivmaterial, Interviews und Animationen im Stile von Richard Linklaters "A Scanner Darkly" erzählt, ist bekannt: Cobains unglückliche Jugend als Scheidungskind, Komplexe als Teenager, Flucht in eine Parallelwelt, Musik als Ventil, Gründung von Nirvana (1987), Durchbruch mit "Smells like Teen Spirit", Welttournee mit "Nevermind" (1991), Ehe mit Courtney Love, Geburt seiner Tochter, Heroinsucht, Selbstüberschätzung und Selbstmord mit 27 Jahren.

Das alles ist bekannt. Trotzdem entwickelt Morgen durch die rasante Abfolge der Bilder einen Sog, der einen immer tiefer in die seelischen Abgründe Cobains führt und offenlegt, wie aus dem aufgeweckten Bub aus Aberdeen im US-Bundesstaat Washington ein hilfloser Junkie werden konnte.

Zu Wort kommen Nirvana-Bassist Krist Novoselić, der von Cobains Kampf mit Dämonen erzählt. Die nervös wirkende Witwe Love, die den Traum ihres Mannes zitiert, drei Millionen verdienen zu wollen "und dann Junkie zu werden", Cobains Mutter Wendy sowie Vater Donald.

In verwackelten und intimen Aufnahmen sieht man den jungen Kurt Cobain beim Kindergeburtstag herumtollen, ist dabei, wenn er seine ersten musikalischen Schritte macht und sich das Ehepaar Cobain im Bad unterhält. Der Zuseher übernimmt dabei die Rolle eines Voyeurs, der gegen Ende mitansehen muss, wie Cobain sichtlich zugedröhnt, müde vom Leben und neben sich stehend versucht, seine Tochter im Arm zu halten.

Man ist dann auch an der deprimierendsten Stelle der Doku angelangt: Cobain ist seinem Ziel, der Selbstauslöschung, ganz nah.

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