Filmkritiken

EIN WAHRHAFTER MANN MIT EINIGEN MACKEN

Fast könnte man meinen, wir wären in einer Folge der Serie „Sherlock“ gelandet, denn Benedict Cumberbatch ist so egozentrisch genial und nervig wie immer. Außerdem trägt der Mann an seiner Seite auch einen Bart und tritt – fast bist zuletzt – als sein allzeit Getreuer auf, der gerne die zweite Geige spielt und sich vom eifersüchtigen Meister mit Haut und Haar vereinnahmen lässt. Weiters geht es in einer rasend schnellen Szenenabfolge, die meist mit Handkameras gefilmt wurde, um große Geheimnisse, Verschwörungen, Nervenkitzel und Todesangst. So weit, so plausibel. Wenn da nur nicht diese Haarfarbe wäre: eine solche weißblonde Mähne hat Holmes bisher wohl selbst in seinen wildesten Verkleidungen noch nie getragen. Nein, diese Haare gehören eindeutig zu einer andern Person, die sich durch Wikileaks zum Gewissen unserer Gegenwart hochstilisiert hat.

Biopics über Zeitgenossen, die erst kürzlich bleibende Spuren in der Welt hinterlassen haben, sind im Augenblick sehr beliebt. Man denke nur an Finchers Film über den Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg. Nun ist eben der Enthüllungsfanatiker und glänzende Selbstdarsteller Julian Assange an der Reihe. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es diesen Film gar nicht gegeben und er hat in einem Offenen Brief an den Hauptdarsteller seine Bedenken an dem Projekt publik gemacht. Immerhin stammte die Buchvorlage auch von seinem einstigen besten Freund und ‚Partner in Crime‘ Daniel Berg (von Daniel Brühl hier großartig verkörpert), der dann schnell zu seinem Intimfeind wurde.

„The Social Network“ und „Inside Wikileaks“ vermitteln uns beide die wenig überraschende Einsicht, dass genialisch Veranlagte privat ziemliche Kotzbrocken sein können. Zumindest bei Assanges Vergangenheit ist das auch kein Wunder: immerhin durchlebte er als kleiner Junge in einer Sekte traumatisierende Jahre. Rasch wird klar, dass der Wahrheitsapostel selbst es mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt, sondern sie nach Lust und Laune verbiegt, um seine manipulativen Zwecke zu erreichen. Das ist auch bei Nebensächlichkeiten so - selbst die Erklärung seines frühzeitigen Ergrauens hört sich fast täglich anders an (wobei die Haare, wie angedeutet wird, vermutlich überhaupt nur gefärbt sind).

In wie weit der Mensch Assange hier wirklich gut getroffen wurde, bleibt natürlich dahingestellt, und in einer cleveren Schlusswendung thematisiert Cumberbatch gerade dieses Problem, indem er sich in seiner Rolle direkt an uns wendet und die Glaubwürdigkeit des soeben Gesehenen in Frage stellt. Er entlässt uns mit der Botschaft, dass sich jeder selber auf die Suche nach der Wahrheit begeben soll. Irgendwo dort draußen wird sie schon zu finden sein, wie wir spätestens seit den Aktivitäten Fox Mulders, eines anderen unermüdlichen Aufdeckers unglaublicher Tatsachen, wissen.

Es ist durchgesickert, dass ich 8 von 10 Geheimpunkten für „Inside Wikileaks“ vergeben habe.

(franco schedl)
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