EIN SYMPATHISCH-WIDERBORSTIGER STURSCHÄDEL
Von Franco Schedl
Wir sind alle potentielle Millionäre! Wem von uns ist nicht schon eine dieser dubiosen Zuschriften ins Haus geflattert, die versucht, uns mit angekündigten Gewinnen in Millionenhöhe für dumm zu verkaufen? Der alte Zausel Woody Grant, von lebenslangem Alkoholkonsum und einer nörgeligen Ehefrau gezeichnet, glaubt diesem Schreiben jedenfalls und nimmt die Gewinnankündigung für bare Münze. Fortan ist sein Sinnen und Trachten nur noch nach Lincoln, Nebraska gerichtet, wo er sich das viele Geld persönlich abholen möchte: er bricht zu Fuß hinkend fast täglich dorthin auf, kommt aber natürlich nicht weit.
Sein jüngster Sohn hat schließlich Erbarmen und erklärt sich bereit, mit dem schweigsamen Sturschädel ins ersehnte (Bundes)Land aufzubrechen, ehe sich dessen Gedächtnis womöglich gänzlich verabschiedet und er in die ewige Alzheimat abwandert. Unterwegs machen sie Station bei Verwandten im amerikanischen Hinterland, wo die Zeit vor mindestens 50 Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Auch die restliche Familie reist nach und es dauert nicht lange, bis die ganze Kleinstadt glaubt, einen zukünftigen Millionär zu beherbergen und die Gäste mit subtilen oder völlig unverfrorenen Geldwünschen bombardiert werden. Das Unternehmen ist zwar pekuniär zum Scheitern verurteilt, doch menschlich ein Gewinn. Der Sohn lernt viele überraschende Details aus dem Leben seines Vaters kennen, findet einen neuen Zugang zum ihm, lockt auch den verstockten alten Mann aus der Reserve und gibt ihm seine Würde zurück.
Regisseur Alexander Payne holt aus seinen Darstellern ein Maximum an Authentizität heraus: Die Schauspieler, allen voran der große alte Bruce Dern (sehr zu Unrecht bisher meist ein Mann der 2. Reihe), haben ihre Kunst hier auf eine solche Höhe getrieben, dass man immer wieder vergisst, eigentlich nur einen Film zu sehen. Die Leinwand wird zu einem Fenster, durch das wir - in melancholischem und zugleich wunderschön stimmigem Schwarz-Weiß - scheinbar authentischen Personen einfach beim Leben mit all seinen tragikomischen Momenten zuschauen.
Dern lässt mit Freuden endlich sein Image als zorniger Rebell oder psychopathischer Killer und all jene anderen düsteren Figuren hinter sich, auf die er seit den 60er Jahren in erster Linie festgelegt war. Für seine atemberaubende Verwandlung in den stachelbärtigen Widerborst Woody, hinter dessen abweisender Fassade sich ein unerwartet reiches Seelenleben verbirgt, hätte er endlich den Oscar verdient; seine nominierten jüngeren Kollegen können ja schließlich noch ein paar Jahre auf ihre nächste Chance warten. Nebraksa hat bei mir das große Los gezogen und erzielt einen Haupttreffer in der Höhe von 10 Punkten.