EIN SOUND DER RAKETENLABORS
Von Alexandra Seibel
Die Synthesizer der Sowjetunion waren unspielbar. Unabsehbar, welche Töne die Geräte von sich geben würden, wenn an einem der dutzenden kleinen Knöpfe gedreht wurde. Es fehlten einfach die richtigen Komponenten.
Aber von vorne: In der Sowjetunion gab es Synthesizer (!?) Ja, wirklich. Murrende, eiernde, verzerrende, improvisierte Synthesizer mit denen murrende, eiernde, verzerrte, improvisierte Musik gemacht wurde.
Dieser ebenso abwegigen wie überraschenden Fußnote der Sowjetgeschichte haben der Wiener Filmemacher Dominik Spritzendorfer und die gebürtige Russin Elena Tikhonova ihre skurrile Dokumentation "Elektro Moskva" gewidmet.
Ergraute Schrauber, im Westen hätte man sie wohl Nerds genannt, erzählen darin mit verklärtem Gesicht, wie sie sich in Jugendtagen in den Raketenlabors der Sowjetunion bedienten, um ihre kleinen quadratischen Schaltkisten zum Klingen zu bringen. Selbst KGB-Agenten sollen ihr Abhörrepertoire zweckenftremdet haben. Ostalgie mit sphärischen Klängen, die auch auf die Dokumentation abfärben.
Anstatt tiefer in diese faszinierende Subkultur der Elektroschrauber einzutauchen, verlieren sich Spritzendorfer und Tikhonova immer wieder in verwaschenen Bildern von Lenins Traum der elektrifizierten Sowjetunion. "Elektro Moskva" gerät zur Allegorie auf das Leben in Russland selbst.
Dabei hätte es auch das kleine Bild getan, um das große zu verstehen. "Komme was wolle, irgendwas kommt sowieso immer. Eine Zeit, in der nichts war, gab es nie" lautet der Spruch, der eingerahmt im bis oben hin mit Synthesizern gefüllten Wohnzimmer von Elektroschrotthändler Aleksey über der Couch hängt. Im Alltag bestehen, heißt improvisieren. Das gilt für die Sowjetunion genauso wie für ihre Synthesizer.
(Karl Oberascher)
KURIER-Wertung: *** 1/2