Filmkritiken

EIN LEBEN IM KARTON

Jetzt wissen wir wenigstens, wer das Geräusch verursacht, wenn es das nächste Mal im Karton rappelt: Die Boxtroll waren’s. Das sind kleine unförmige Wesen mit gewöhnungsbedürftiger Aussprache, unregelmäßigen Zähnen und einem bläulichen Körper, dem ein Karton als Kleidung dient. Nachts verlassen sie ihre Verstecke und durchstöbern Mülltonnen und Mistplätze nach brauchbaren Utensilien, die sie zu ihrem Stützpunkt tief unter der Stadt schaffen, denn sie sind leidenschaftliche Bastler. Leider herrscht kein gutes Einvernehmen zwischen ihnen und der Menschenwelt, da ein gewiefter Manipulator und Volksverhetzer namens Snatcher aus selbstsüchtigen Gründen Hass schürt: er stellt die Boxtrolls als Kinderdiebe und Kannibalen dar, um Jagd auf die Minderheit machen zu können.

Dabei ist das alles nicht wahr. Im Gegenteil: gerade Kinder werden die freundlichen Kanalmonster mit all ihren Ecken und Kanten garantiert ins Herz schließen, und Erwachsene können sich an der skurrilen Erzählung freuen, die wirkt, als wäre sie ein Gemeinschaftsprojekt von Monty Pythons, Charles Dickens und Jules Verne. Tatsächlich könnte der bekannte Käse-Sketch mit John Cleese in der Hauptrolle als Anregung für die aktuelle Geschichte gedient haben, weil sich im Leben des snobistischen Oberhauptes dieses viktorianisch anmutenden Städtchens Cheesebridge alles nur um Käse(verkostungen) dreht. Seine halbwüchsige Tochter hat immerhin andere Interessen und stolpert durch Zufall über einen gleichaltrigen Jungen, der sich für einen Boxtroll hält, wodurch die Handlung erst so richtig Tempo aufnimmt.

Der fiese Snatcher hingegen scheint einem der dickleibigen Dickens-Romane entsprungen zu sein und wie wenig abwegig diese Vermutung ist, wird durch die Wahl des Sprechers bewiesen: Ben Kingsley, erst vor wenigen Jahren in Polanskis Verfilmung von „Oliver Twist“ als Bandenchef Fagin zu sehen, hat nämlich dem Bösewicht seine Stimme geliehen. Es ist die reinste Ohren-Freude ihm dabei zuzuhören, wie er extrem britisch vor sich hin schnarrt, nach Herzenslust die Vokale dehnt und manchmal auch zu fisteln beginnt, weil seine Figur fallweise in Frauenverkleidung auftritt - und sogar singt (weshalb mein erster Verdacht eher auf Martyn Jacques von den „Tiger Lillies“ gefallen ist). Apropos Musik: Python-Mitglied Eric Idle hat einen eigenen Song beigesteuert und das ist doch eine sehr nette Geste, auch wenn es das Lied vermutlich zu keinem vergleichbaren Welterfolg à la „Always Look on the Bright Side of Live“ bringen wird.

Ernste Themen wie Rassismus und Verfolgung von Minderheiten wurden bei dieser Kinderbuchverfilmung somit in ein exzentrisches Filmvergnügen umgewandelt. „Die Boxtrolls“ haben sich dafür 9 von 10 drolligen Boxen mit reichhaltiger Käseauswahl verdient.

(franco schedl)
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