"Die dunkle Seite des Mondes": Der Kapitalist als Höhlenmensch
Als gerissener Wirtschaftsanwalt Urs Blank entwickelt Bleibtreu nach dem Genuss getrockneter Pilze eine zweite Persönlichkeit, die zu zerstörerischen Gewaltausbrüchen neigt. Bald versteckt er sich in den Wäldern, um durch seine ungezügelt freigesetzten Aggressionen nicht noch mehr Schaden anzurichten. Wie ein moderner Trapper streift er Pilze sammelnd durchs dämmrige Dickicht und sucht verzweifelt nach einem Gegenmittel für die Wiederherstellung seiner durcheinander geratenen Charakterstruktur. Während er für seine Mitmenschen sogar bald als tot gilt, lässt sich sein skrupelloser Chef (Jürgen Prochnow) aber nicht täuschen – der passionierte Waidmann eröffnet die Jagd auf Urs, weil der über brisante Informationen verfügt und die bevorstehende Fusion zweier Pharmafirmen platzen lassen könnte.
Mit dieser Verfilmung von Martin Suters beliebtestem Roman gibt Stephan Rick sein Debüt als Kinoregisseur und schickt Moritz Bleibtreu wirkungsvoll auf einen lebensgefährlichen Psychotrip, der an die alte Geschichte von Dr. Jeckyll und Mr. Hyde erinnert: im Waldesdüster entdeckt seine Figur des kaltschnäuzigen Anwalts die dunkle Seite der Seele. Die Handlung ist sorgfältig ausgearbeitet und es macht Spaß mitzuverfolgen, wie sich die Motive immer stärker ineinander verzahnen.
Der Film lebt auch von der Kontrastwirkung zwischen den beiden Hauptschauplätzen, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt sind und doch unterschiedlicher nicht sein könnten: die transparenten Glas- und sterilen Stahlwelten im Viertel der Hochfinanz, wo die zivilisierten Wilden herrschen, steht neben der Gegenwelt des Waldes, wo die Urinstinkte ungezügelt hervorbrechen und der Anwalt zum Höhlenmensch wird. Womit bewiesen wäre, dass im modernen Kapitalisten auch bloß ein kleiner Neandertaler steckt.
8 von 10 bläulich gestielten Drogenpilzen.
franco schedl