Filmkritiken

DER KÖNIG VON KAPPADOKIEN

Gleich in einer der ersten Szenen werden die Machtverhältnisse des anatolischen Dorfes klar: Aydin, der Patriarch, schickt seinen Verwalter vor, um Mietern, die mit Zahlungen im Rückstand sind, den Herrn zu zeigen. Aydin ist Hotelbesitzer und eine Art König der Region, der das Image des wohlhabenden Schöngeists pflegt. Im stillen Kämmerlein schreibt er an einem Buch über das türkische Theater. Oder banale Kolumnen für die Lokalzeitung.

Dreieinviertel Stunden dauert Nuri Bilge Ceylans philosophische Reise in die bizarr-schöne Höhlenlandschaft Kappadokiens, die den Rahmen für die kammerspielartige Selbstbespiegelung der Protagonisten bildet. Lange, scheinbar nebensächliche Gespräche kehren das Innerste der Figuren nach außen: das spannungsreiche Verhältnis Aydins zu seiner jungen Frau und die Vertrautheit mit seiner Schwester Necla, die nach ihrer Scheidung Zuflucht bei ihm gefunden hat: Die ältere Frau genießt als Einzige das absolute Vertrauen des Patriarchen.

"Winterschlaf" ist ein Epos ohne Zentrum, ein mäanderndes, mit der Goldenen Palme in Cannes gekröntes Kunstwerk ohne äußere Handlung. Während Ceylan in seinem zweiten Opus Magnum, "Once Upon a Time in Anatolia" Stimmungen durch Schweigen vermittelte, setzt er diesmal auf fein ziselierte Sprache. Für den Zuseher ist die Anmutung eher die eines Tschechow-Stücks als die eines Kino-Opus. Die Gemengelage in der Familie des Patriarchen paart sich mit dem Blick auf die komplexen Machtverhältnisse in der türkischen Gesellschaft: Just ein kleiner Bub, der sich für das Einwerfen einer Fensterscheibe rechtfertigen soll, begehrt bei Ceylan auf.

Ein starker Film, auf den man sich ganz entspannt einlassen muss.

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