Filmkritiken

DEMOKRATIE ALS KUHHANDEL

Beginnen wir mit dem staatstragenden Titel: " Lincoln" suggeriert, es hier mit einer Biografie zu tun zu haben. Dem Leben jenes legendären amerikanischen Präsidenten, unter dem die Nord- und Südstaaten geeint wurden und die Sklaverei in den USA abgeschafft wurde.

Er ist es nicht.

Der Film spielt nur in den letzten Monaten von Lincolns Leben und seiner Amtszeit. Und er spielt hauptsächlich im Büro. Er ist ein dreistündiger Bürofilm der sprechenden Köpfe, der Rede und Gegenrede – schließlich handelt er ausführlich davon, wie in der Demokratie Politik gemacht wird. Und dafür ist er, man muss es zugeben, gar nicht mal unspannend.

Machen wir weiter: Mit zwölf Oscarnominierungen ist Steven Spielbergs Film der Favorit der kommenden Gala, was wiederum suggeriert, es handle sich um den besten Film des Jahres. Er ist es nicht.

Es ist vielleicht für Spielberg in vielerlei Hinsicht ein Un-Film: untypisch, über lange Strecken unpathetisch und unsentimental (sieht man von Anfang und Ende ab). Mehr ein Film von Tony Kushner, der das Drehbuch geschrieben hat, als von Steven Spielberg. Dennoch hätte der Film ruhig noch ein wenig komplexer oder anders formuliert: weniger voll patriotisch wehender Fahnen sein dürfen. Wir befinden uns im Jahr 1865, draußen vor der Tür tobt der Bürgerkrieg, stapeln sich die Toten. Doch die sieht man ohnehin kaum in diesem Film. Wir befinden uns hauptsächlich in einem Gerichtssaal-Thriller, der davon handelt, wie man den Sklaverei-Paragraphen, den „13th Amendment“ im Gesamtgebiet der USA demokratisch abschaffen könnte.

Der Ort dafür ist das Repräsentantenhaus. Abraham Lincoln und seine republikanischen Gesinnungsgenossen spielen darin so was wie verhandelnde Anwälte, die Ja-Stimmen finden müssen und dafür lügen und betrügen, Parteigenossen überzeugen, bestechen und zu erpressen versuchen. Und darin liegt vor allem ein großer moralischer Konflikt:

Lincoln kann und will den Bürgerkrieg nicht beenden, weil sich danach niemand mehr gegen den Sklaverei-Paragraphen engagieren oder sich für das Schicksal der Schwarzen interessieren würde. Er zögert das Kriegsende also hinaus.

Heiligt der Zweck damit die Mittel? Wie etwa auch in der (zeitgenössischen) Terrorismusbekämpfung diskutiert wird?

Wie auch immer. Die Demokratie steht am Ende als einziger Kuhhandel da.

Den Oberkuhhändler spielt der oscarnominierte Daniel Day-Lewis ständig in mythische Düsternis gehüllt, und er spielt ihn wie alle seine Rollen: kalt und monolithisch. Perfekt, wie er hinkt, perfekt, wie er seinen Bart stutzt und perfekt, wie er spricht und (auch für seine augenrollenden Mitarbeiter schon nervig) langatmig Anekdoten erzählt. Doch dabei zuzuschauen, wie perfekt er sein kann, ist am Ende von drei Stunden zu wenig. Er schnallt sich Lincoln wie eine Rüstung um, Gefühle dringen kaum nach draußen. Am berührendsten noch, wie einsam und irgendwie verloren er manchmal durch diese Staatsaffäre stolpert (an seiner Seite Sally Field als depressive Ehefrau, die schauspielerisch nie an die Großartigkeit ihres historischen Kostüms heranreicht).

Dass „Lincoln“ in den USA einen Nerv getroffen hat, ist unbestreitbar. Spielberg zeigt Demokratie als einzigen gesellschaftlichen Weg, Sklaverei (damals), Terror (heute) oder Rassismus (damals wie heute) zu begegnen.

Ganz am Ende des Films wird Lincoln – im Gegensatz zum Beginn – daher Teil der demokratischen Masse werden und der Präsident fast in der Menge der Menschen verschwinden.

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