Filmkritiken

DAS LIED VOM TOD VOM WINDE VERWEHT

Christoph Waltz im Wilden Westen als deutscher Zahnarzt, der aber lieber Löcher in fremde Körper macht, statt welche zu flicken, weil er hautberuflich Kopfgeldjäger ist. Auf so eine Idee kann auch nur Quentin Tarantino kommen und da sich die Zusammenarbeit bei „Inglourious Basterds“ für beide Seite äußerst erfreulich gestaltet hatte, wechselt der Regisseur zwar das Genre, hält aber dem österreichischen Schauspieler die Treue und hat ihm erneut eine Rolle auf den Leib geschrieben, die sich sehen lassen kann. Dr. King Schultz vereint als Exzentriker gepflegte Umgangsformen mit barocker Redeflut, kann Sklaven nicht leiden sehen und hat einen markanten Wackelzahn auf dem Kutschendach, der zugleich als Tresor für erworbenes Kopfgeld dient. Dabei gehört er eindeutig auf die Seite der Guten, denn das böse Potential bleibt einem Leonardo DiCaprio als sadistischem Sklavenschinder mit dem trügerisch süßen Namen Candie vorbehalten. Der blauäugige Plantagenbesitzer offenbart sich als Anhänger einer kruden Rassentheorie, hält Vorträge über Schädelkunde und verdient an seinen Sklaven in Schaukämpfen Geld.

Bereits die Eröffnungsszene der „Basterds“ hatte sich in ihrer Bildsprache am Italowestern orientiert, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Tarantino in seiner hommagereichen Arbeitsweise bei den echten Revolverhelden ankommen würde. Selbstverständlich reiht er in seinem neuen Werk nicht etwa bloß gängige Western-Klischees aneinander, sondern es gelingt ihm, auch diesem Filmgenre eine unverkennbar eigene Nuance abzugewinnen. Was bei diesem Ansatz herauskommt, ist ein irritierende Mischung aus „Vom Winde verweht“ und „Leichen pflastern seinen Weg“.

Kürzlich verkündete der farbige Regisseur Spike Lee via Twitter: „Die amerikanische Sklaverei war kein Sergio Leone-Spaghettiwestern, sondern ein Holocaust. Meine Vorfahren waren Sklaven und ich halte ihr Andenken in Ehre.“ Hätte sich Lee die Mühe gemacht, den Film überhaupt anzusehen und nicht nur auf ein paar Szenen aus dem Trailer zu (über)reagieren, wäre ihm schnell klar geworden, wie differenziert Tarantino ans Werk geht: er zeigt mit schonungsloses Ehrlichkeit verschiedene Formen von Abhängigkeit und Rassismus. Sein Django ist kein wortkarger weißer Einzelkämpfer à la Nero oder Eastwood, sondern wird am Vorabend des amerikanischen Bürgerkriegs vom Sklaven zum bedrohlichen Racheengel, bei dem seine früheren Peiniger und ganz allgemein Männer mit brutalen Südstaatenmanieren nichts zu lachen haben. Leider scheidet DiCaprios Figur dann unverhofft rasch wieder aus und irgendwie fühlt man sich um den großen Showdown betrogen, bei dem zwei gleichwertige Gegner einander gegenüberstehen; dafür steigt in der letzten halbe Stunde die Opferzahl wirklich drastisch an, denn praktisch pausenlos wird scharf geschossen und Blutfontänen spritzen auf, wie man sie seit Peckinpahs Zeiten so beeindruckend nicht mehr gesehen hat.

Selbstverständlich darf Ur-Django Franco Nero für einen herrlichen Cameoauftritt am Tresen lehnen, aber auch ein anderer Altstar wie Don Johnson kommt für ein paar Minuten ins Bild, und Tarantino selbst hat sich eine kurze explosive Rolle reserviert. Noch erfreulicher ist es freilich, dass der unverzichtbare Samuel L. Jackson als Candies hündisch ergebener Haussklave endlich wieder einen größeren Part unter der Regie seines Freundes spielen kann.

Tarantino hat zwar auch diesmal seinen privaten Plattenschrank nach Beiträgen für den Soundtrack geplündert, zugleich jedoch bei Maestro Morricone erstmals eine Originalkomposition in Auftrag gegeben, die aber inmitten der altvertrauten Klänge gar nicht weiter auffällt. Umso auffälliger ist der erfreuliche Gesamteindruck: 9 von 10 blutgesprenkelten Baumwollblüten aus der Candyland Plantage!

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