Filmkritiken

"Das Geheimnis von Neapel": Erotik, Mord und Rätselraten

Die beiden haben sich erst vor wenigen Minuten kennengelernt. Kaum sind sie in der Wohnung der Frau gelandet, fallen sie voll erotischer Vehemenz übereinander her und verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander. Für den nächsten Nachmittag wird ein Treffpunkt im Museum ausgemacht, doch als es so weit ist, taucht der Mann nicht auf und die Frau ist schwer enttäuscht. Auch ihr Beruf klingt nicht gerade aufmunternd, denn sie ist Pathologin und als sie die neu eingelangte Leiche auf dem Seziertisch untersucht, erwartet sie die nächste böse Überraschung.

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Ein kunst-voller Film

Ferzan („Männer al dente“) wird dem Titel seines Films gerecht und konfrontiert uns von Beginn an mit etlichen Geheimnissen in diesem kunstvollen Werk. Kunst-voll in jeglichem Wortsinn: einerseits sind die Filmbilder betörend schön (der für die Kameraführung verantwortliche Gian Filippo Corticelli offenbart bereits in der ersten Einstellung eine wahre Meisterschaft), andererseits werden immer wieder echte Kunstschätze vor uns ausgebreitet, und auch die Volkskunst kommt zu ihrem Recht, denn die Mitglieder einer Schauspieltruppe, deren Auftritte an Dario Fo erinnern, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Zwischen Kunst und Leben ereignen sich außerdem von Anfang an seltsame Überschneidungen: was in der Theateraufführung passiert, wirkt wie eine Szenenanweisung zum realen Geschehen und später lösen die Anblicke von nackten Männerkörpern auf klassischen Gemälden oder als Skulpturen Erinnerungen an den Leib des verlorenen Kurzzeitgeliebten aus.

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Neapel spielt die Hauptrolle

Natürlich übernimmt vor allem die Stadt Neapel, der Ozpetek auch seinen Film gewidmet hat, eine Hauptrolle – der Film präsentiert die italienische Metropole aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln, zeigt die verschiedensten Viertel und stellt uns einige seltsame, bizarre oder einfach faszinierende Figuren vor. Da gibt es zum Beispiel eine medial veranlagte ältere Frau, die in all ihrer Körperfülle auf ein Bett hingelagert ist, sich ihre Dienstleistung mit Essensgeschenken bezahlen lässt und schon mal mit fremder Stimme spricht, sobald sie in Trance fällt. Und welche Rolle spielt wohl eine Gruppe von seltsamen Frauen, die ganz dem Schönen hingegeben ist und inmitten wertvoller Kunstwerke lebt?

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Spiel mit Motiven

Sehr rasch wird klar, dass der Regisseur ein geschicktes Spiel mit Motiven treibt. Man achte nur darauf, wie oft Augen in unterschiedlichster Form auftauchen: sei es als wertvoller Schmuckstein, sei es als religiöses Augenbild an einer Wand; aber auch Blinde sind in den Straßen der Stadt unterwegs (und einem Ermordeten wurden die Augen gar noch bei lebendigem Leib entfernt).  Doch man darf sich keinen blutrünstigen Krimi erwarten. Zwar gilt es, ein Verbrechen aufzuklären und eine eher schlechtgelaunte Kommissarin sowie ihr umgänglicher Kollege machen sich ans Werk. Dennoch ist das kein richtiger Thriller und wir folgen auch nicht den Nachforschungen der professionellen Ermittler. Stattdessen bleiben wir auf den Spuren der Pathologin, bei der sich eine neue Beziehung anzubahnen scheint.

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Ein Giallo light?

Ganz stark hat sich Ozpetek auch beim Motiv-Fundus der Gialli bedient und wer auch nur zwei Filme dieser – hauptsächlich auf die 60er und 70er Jahre beschränkten – Spielart des harten italienischen Mystery-Thrillers gesehen hat, wird sofort auf die Anfangsszene in „Napoli Velata“ reagieren. Im Giallo ist es nämlich absolut selbstverständlich, dass künftige Psychopathen und Mörder durch ein traumatisches Erlebnis in ihrer Kindheit zu den späteren Taten angestiftet wurden. Daher glaubt man, gleich zu wissen, worauf dieser Film hinauslaufen wird und hält ihn zumindest für eine Art ‚Giallo light‘, weil auf exzessive Gewaltdarstellung verzichtet wird. Aber gerade dieses vermeintliche Wissen kann uns auch in die Irre führen. Vielleicht steckt ja ein mörderischer Geheimbund hinter den Verbrechen oder es ist alles ganz anders.

Das ist übrigens innerhalb kürzester Zeit bereits der vierte Film (die bisherigen waren „Tully“, „Die Farbe des Horizonts“ und „Nach einer wahren Geschichte“) in dem die Zuschauer auf eine sehr spezielle Weise in die Irre geführt werden. Wer es liebt, mitzurätseln und sich nicht davon abschrecken lässt, dass am Ende in diesem Verwirrspiel aus Sein und Schein womöglich nicht alle Geheimnisse aufgeklärt wurden, kann diesem Werk bestimmt viel abgewinnen. Bei allen anderen trübt die vorherrschende Ratlosigkeit dann vielleicht doch etwas das Sehvergnügen.

4 von 5 fehlenden Augen

franco schedl