Filmkritiken

WELTTHEATER IN 3D

Also gut, dann packen wir einmal unsere altmodischen Gerätschaften aus, um an diesem Film die erforderlichen Messarbeiten durchzuführen. Aber zuvor werfen wir noch einen kurzen Blick ins gleichnamige Buch. Im Mittelpunkt stehen – wie fast immer bei Daniel Kehlmann – außergewöhnliche Menschen. Der eine ist ein überzeugter Schreibtischtäter, der andere legt seine Reisekleidung gar nicht ab, und beide werden sie getrieben von einer unbezähmbaren Neugierde auf alles, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Kehlmanns Vorliebe für Ausnahmeexistenzen ging in seinen literarischen Anfangszeiten manchmal à la Beerholm oder Mahler stark an die Grenzen des scheinbaren Selbstmitleids („Ich bin so genial, aber niemand weiß das zu würdigen und ich gehe daran zu Grunde“), doch bei diesem Roman sind ihm die genialischen Protagonisten dank der – mit ironischer Freiheit gehandhabten - historischen Vorgaben stimmig und keinesfalls peinlich geraten; außerdem hat er selten zuvor so humorvoll geschrieben, und das Stilmittel der indirekten Rede steigert die Wirkung noch.

Im Film konnte dieser sprachliche Trick kaum umgesetzt werden, außer man hätte einen gnadenlosen Off-Erzähler damit betraut, den Protagonisten alle Worte aus den Mündern zu nehmen. Nun gibt es einen solchen Sprecher tatsächlich und seine Stimme gehört passenderweise Kehlmann selbst, aber er beschränkt sich zum Glück auf moderate Wortmeldungen (schließlich hat er ja auch anderes tun, denn für einige Sekunden tritt der Autor als „unheimlicher Mann“ persönlich in Erscheinung).

Dafür zieht uns Detlev Buck mit seiner geradezu barocken Bildersprache in ein üppig dekoriertes 3D-Welttheater und wir betreten reichhaltige Innen- + Außenräume, als könnten wir tatsächlich eine Expedition in eine versunkene Ära unternehmen; zudem findet Buck immer wieder visuell verblüffende Übergänge, um die parallelen Biografien miteinander zu verzahnen (sei das nun durch eine fallende Flaumfeder oder eine optisch verwirrende 180°-Drehung).

Trotz allem Dekor sollte man auch die Darsteller nicht vergessen: Florian David Fitz und Albrecht Abraham Schuch spielen den Mathematiker oder Tausendkünstler Gauß und den unermüdlichen Welterforscher Alexander v. Humboldt auf solide aber nicht wirklich überwältigende Weise (v.a. in ihren Altersmasken wirken sie eigentlich nur gut verkleidet). Einen bleibenden Eindruck hinterlässt da schon eher Karl Markovics als prügelfreudiger Lehrer wohl nicht nur auf dem Gesäß des jungen Gauß, sondern erst recht in unserem Gedächtnis; dicht gefolgt von Michael Maertens als perfekt degeneriertem Herzog. Zwischendurch gibt es einen kurioser Auftritt von Georg Friedrich, der mitten im Urwald am anderen Ende der Welt in breitestem Wienerisch Sklaven zum Verkauf anpreist.

Bei Abfassung des Drehbuchs haben Buck und Kehlmann als knappe Rahmenhandlung Humboldts letzte große Entdeckungsfahrt nach Asien gewählt (die desillusionierenden Reiseumstände in einer veränderten Welt, denen sich der alte Forscher gegenübersieht, aber weggelassen). Dafür erreichen wir im Film erst nach rund 90 Minuten die eigentliche Eröffnungsszene des Romans: während sich dort die beiden Lebensläufe in kleinerer oder größerer Distanz nebeneinander her bewegen, für eine entscheidende Begegnung queren und dann wieder parabelförmig auseinander streben, ist hier alles auf das Treffen der beiden alten Monomanen als Finale angelegt. Wobei Gauß zwar als alter Grantler, doch nicht als Rabenvater erscheint – bei Buck darf er anlässlich der Deportierung seines Sohnes sogar Gefühle zeigen.

Welche Gefühle wir beim Ansehen des Werks entwickeln, lässt sich mittels einer kürzlich in Gauߒschen Nachlasspapieren entdeckten Sympathie-Formel exakt berechnen: heraus kommt dabei ein Zuneigungswinkel von 260°.

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