Filmkritiken

"Boston": Anschlag am Patriot’s Day

Es ist noch keine vier Jahre her, dass es beim Boston-Marathon Tote und Verletzte gab, weil Attentäter zwei Bomben detonieren ließen. Pete Berg, ein Spezialist für wahre Begebenheiten, der uns erst kürzlich brennend heiße Momente durch die Bohrinsel-Katastrophe in „Deepwater Horizon“ beschert hat, rekonstruiert die Ereignisse (deren Vorgeschichte, das Attentat selbst und die knapp 100stündige Jagd nach den Tätern) mit größtmöglicher Genauigkeit, wenn man den pausenlosen Zeitangaben wie 8:34 p.m. oder 11:18 a.m. wirklich Glauben schenken darf. Aus vielen unterschiedlichen Perspektiven werden die tragischen und dramatischen Vorfälle rekapituliert: wir treffen Polizisten, Studenten, junge Ehepaare, Bundesagenten, alteingesessene Bostoner Bürger und natürlich die beiden Attentäter (ein Brüderpaar mit tschetschenischen Wurzeln).

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Mark Wahlberg darf in einem Werk von Peter Berg selbstverständlich nicht fehlen. Hier humpelt er als Polizist durch den gesamten Film, weil er sich gleich zu Beginn beim gewaltsamen Öffnen einer Tür das Knie verletzt hat. Als sein Vorgesetzter tritt ein unglaublich erschlankter John Goodman in Erscheinung; und ein schnauzbärtiger J.K. Simmons spielt einen zähen Vorstadtpolizisten mit dem Zeug zum Helden.

Mitfiebern bei den Ermittlungen

Es zerrt an unseren Nerven, die blutigen Auswirkungen der Explosion zu erleben; und man fiebert förmlich mit, sobald die Ermittlungen auf Hochtouren laufen - wir können den FBI-Leuten beim Auswerten des reichhaltigen Videomaterials buchstäblich über die Schultern schauen. Dann gibt es wieder Szenen, wie man sie bloß in Actionfilmen erwarten würde und man müsste sie für reine Erfindung halten, wenn sie nicht tatsächlich belegt wären: da kommt es etwa in einem stillen Wohnviertel zu ein wilder nächtlichen Auseinandersetzung zwischen Polizei und Attentätern. Wobei nicht nur viele Schüsse fallen, sondern auch Sprengladungen hochgehen, die Autos in Schrott verwandeln.

Aufruf zum Patriotismus

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Wir wären nicht in den USA, wenn nicht alles in einer Beschwörung des Gemeinschaftsgefühls und des Zusammenhalts der amerikanischen Bürger gipfeln würde. Diverse patriotische Kundgebungen stehen daher am Ende und im Stadion der Red Sox bejubeln Sportler und Publikum die maßgebenden Ermittler. Immerhin wurde der Originaltitel „Patriot’s Day“ (an eben diesem hat der Anschlag stattgefunden) vom deutschsprachigen Verleih offenbar doch als zu heftig eingestuft und dankenswerterweise durch das schlichte „ Boston“ ersetzt.

Beschämende Reaktionen

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Wenn die beiden Attentäter ihre Ansichten über den 11. September verkünden, kann man ein hysterisches Auflachen kaum unterdrücken. Richtig geschmacklos wird es aber erst, sobald man im Internet zahllose User-Kommentare über diesem Film findet, in denen Verschwörungstheoretiker die Bostoner Ereignisse entweder als Inszenierung durch die Regierungsbehörden entlarven (die angeblichen Opfer seien Schauspieler gewesen) oder andere Gemütsmenschen den Anschlag als zu unbedeutend für eine Verfilmung abtun, weil es „bloß“ drei Tote gegeben hat. Terrorismus ist infam - aber wie soll man dann solche Reaktionen bezeichnen?

8 von 10 Betroffenheitspunkten

franco schedl

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