Filmkritiken

"Blade Runner 2049": Die wahre Größe steckt in Einzelszenen

Drei Jahrzehnte sind auch in der futuristischen Welt ein langer Zeitraum, in dem sich eine Menge ändern kann. Im LA des Jahres 2049 hat sich zwar das Wetter noch immer nicht gebessert - es will nicht richtig hell werden und regnet die meiste Zeit - , doch zumindest ist nach einem längeren Replikanten-Verbot wieder ein neues Modell dieser künstlichen Menschen auf dem Markt. Konstruiert wurde die Replikanten der Serie Nexus 9 vom Industriellen Niander Wallace ( Jared Leto), der somit die Nachfolge der skrupellosen Tyrell Corporation angetreten hat. Im Unterschied zu den 9er-Modellen sind diejenigen der Vorgänger-Serie 8 weniger pflegeleicht und müssen nach wie vor von Blade Runnern eliminiert werden. Als LAPD Officer K spielt Ryan Gosling einen ziemlich unerschütterlichen Angehörigen dieser Berufsgruppe und kommt bei Ausübung seiner Vernichtungs-Tätigkeit einem großen Geheimnis auf die Spur, das mindestens so sensationell ist, wie die unbefleckte Empfängnis einst für die Christenheit.

Obsessive Themen

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Passend für ein Werk, das von Philip K. Dicks Roman inspiriert wurde, kreist hier wieder alles unablässig und geradezu obsessiv um die Fragen von Identität und Erinnerung, aber auch Familienverhältnisse spielen eine entscheidende Rolle. Wie können wir sicher gehen, tatsächlichdie zu sein, für die wir uns halten? Welchen Wert haben unsere Erinnerungsbilder - dürfen wir ihnen trauen oder sind sie womöglich nur Fälschungen und wurden durch zweite Hand in uns gepflanzt? Und wie menschlich ist künstliche Intelligenz?

Deckard's Comeback

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Seit 35 Jahren haben die Fans des Kultfilms darüber gerätselt, was wohl aus dem geflohenen Liebespaar Deckard und Rachael geworden ist. Nun bekommen wir die Lösung geboten. Außerdem hat sich durch denDirector`s Cutin den 90ern dann noch ein alternatives Ende ergeben, bei dem angedeutet wurde, dass Deckard selbst womöglich auch ein Replikant sein könnte. Auch darauf wird der aktuelle Film Bezug nehmen. Bis Harrison Ford tatsächlich wieder in Erscheinung tritt, muss man jedoch ziemlich lange warten und vor allem in der ersten Filmstunde will die Zeit eher langsam vergehen - durch die allzu vielen Dialoge gestaltet sich die Handlung etwas schleppend. Aber dafür darf man sich im letzten Drittel der 163 Minuten dann auf wirklich packende Momente freuen.

Die Teile sind mehr als das Ganze

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Deckard spricht einmal von einem Teil des Puzzles. Das ganze Bild ist lange nicht erkennbar und man fragt sich, wie die einzelnen Elemente wohl ineinander passen. Auf Grund seiner verschachtelten Story ist „ Blade Runner 2049“ daher ein Film, den man sich zumindest noch ein zweites Mal ansehen sollte. Andererseits ist es im Grunde aber gar nicht so wichtig, wie sich die Replikanten eigentlich ihren Freiheitskampf vorstellen oder welche Pläne der Bösewicht verfolgt (und wovon leben Bienen in einer radioaktiv verseuchten Sandwüste?). Man sollte solche Komplexität, die ständig Erklärungen vorausschickt und sogar ein paar Kurzfilme zur Einstimmung auf die Welt das Jahres 2049 nötig hatte, einfach ausblenden, denn während normalerweise das Ganze die Summe seiner Teile ergibt, sind in diesem Fall die Teile reizvoller als das Ganze.

Hypnotische Schauwerte

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Villeneuves Werk lebt in erster Linie von ein paar wirklich großen Szenen, die man ohne weiteres aus dem Gesamtzusammenhang herauslösen und für sich betrachten kann, wie faszinierende Gemälde von Surrealisten. Etwa wenn Reales und Virtuelles bei einem Liebesspiel miteinander verschmelzen oder wenn wir einer Erinnerungs-Programmiererin (Carla Juri aus „Feuchtgebiete“) bei der Arbeit zusehen; ebenso beim Besuch einer Geisterstadt, in der die großen toten Stars noch auftreten oder bei einem nächtlichen Kampf unter hereinbrechenden Wassermassen. Solche Szenen sprechen uns durch ihre traum-hafte Wucht unmittelbar auf einer ganz tiefen inneren Ebene an, als wären es Beispiele für C. G. Jungsche Archetypen.

Verpasste Chance

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Eine wirkliche Unterlassungssünde besteht darin, dass man den wunderbaren Schauspieler Jared Leto so spärlich eingesetzt hat. Immerhin war er als Niander Wallace schon in einem der vorbereitenden Kurzfilme zu sehen und tatsächlich hatte er in diesen fünf Minuten mehr zu tun und einen effektvolleren Auftritt zu bieten, als nun im fertigen Langfilm, wo seine Zeit viel zu knapp bemessen ist. In Anbetracht des getriebenen Aufwands und der Länge des Films wirkt die Geschichte übrigens seltsam unfertig – hier werden mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet - und alles deutet nach einem abrupte Ende auf eine weitere Fortsetzung hin.

8 von 10 archetypischen Erinnerungspunkten

franco schedl