AVOCADOS UND HASEN STREICHELN
Von Alexandra Seibel
Hedi Schneider steckt fest. Zuerst nur im Aufzug, doch da bleibt sie noch relativ entspannt. Munter plaudert sie mit der Stimme vom Servicedienst ("Einmal Hamburger mit Pommes, bitte") und macht es sich auf dem Boden der Kabine gemütlich. Auch den manischen Bürokollegen ("Sie trinken aus meiner Tasse, kann ich sie bitte wiederhaben") steckt sie locker weg. Ebenso den Chef und seine ätzenden Bemerkungen. Doch ausgerechnet beim Sex mit dem Ehemann, überfällt Hedi die Angst. In Form einer Panikattacke, die sie für einen Schlaganfall hält. Sanitäter eilen herbei und finden nichts.
"Sie haben Angst vor der Angst" erklärt der Psychiater der verwirrten Mutter, die sich nicht mehr allein auf die Straße traut es sei denn, sie hat vorher eine fette Glückspille geschluckt. Unter deren Einfluss kann Hedi ihren Mann auf einer Party überraschen, sich über der Schulter eines weiteren Gastes übergeben und dann ausgelassen durch die Straßen tanzen.
In den besten Momenten erinnert Laura Tonke als Hedi an Gena Rowlands in Cassavetes "Eine Frau unter Einfluss"; in den schwächsten an den nächstbesten Sundance-Indie-Film. Regisseurin Sonja Heiss bemüht sich um eine bekömmliche Balance zwischen Komödie und Tragödie, die manchmal etwas zu gefällig ausfällt.
Doch dann wieder zielen fein beobachtete Grausamkeiten unter die Gürtellinie. Kein Verständnis findet Hedi bei ihrer Mutter. Diese empfindet die Depression der Tochter als persönlichen Angriff und verteilt hilflos-aggressive Ratschläge ("Wenn es mir schlecht ging, nahm ich ne kalte Dusche.")
Wie sehr die Depression eine Person von ihrem innersten Umfeld entfremdet, skizziert Heiss mit stilsicherer Hand. Das Familienleben erodiert auf subtile Weise: Versteckenspielen mit dem lauten Kind gerät zur unbewältigbaren Herausforderung. Das Elternschlafzimmer wird zum Ort des abgedämpften Lichtes, in dem eine Frau nicht allein sein kann. Und der so duldsame Ehemann gerät an die Grenzen seiner Belastbarkeit und findet bald Trost von Fremden.
Laura Tonke spielt Hedi wie eine Schlafwandlerin unter dem Einfluss von Lachgas. Der Druck von außen hat sie sichtlich verlangsamt, und man weiß nie, ob sie als nächstes in Lachen oder Weinen ausbrechen wird.
Einmal geht Hedi in ein Tiergeschäft, um ein "schönes Tier" zu kaufen. Sie erwirbt einen kuscheligen Hasen, und es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie es schafft, den Langohr vor den Augen des ungeduldigen Verkäufers in eine Kiste zu packen. Die Szene ist von spezieller Komik, weil sie Hedis depressive Verlangsamung und die Effizienz des Verkäufers witzig auf einander prallen lässt.
"Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen", wusste schon Wittgenstein, und Hedi tut alles, um die Welt der Unglücklichen wieder zu verlassen. Sie streichelt Avocados, schluckt Pillen und macht Schreitherapien. Ein gemeinsamer Urlaub in Norwegen soll das Familienleben wieder konsolidieren. "Vielleicht, sagt Hedi, "versuchen wir einfach nur, einen Tag glücklich zu sein und dann sofort wieder unglücklich. Dann nehmen wir uns nicht so viel vor." "Okay", sagt der Ehemann. Willkommen in der Welt des Glücklichen.