Filmkritiken

"Anomalisa": Eine realistische Puppenliebe

Die Geschichte könnte banaler kaum sein. Ein unauffälliger Familienvater geht auf Geschäftsreise, checkt in einem Hotel ein und hat dort eine Affäre. Nicht gerade originell. Doch das Geniale an Charlie Kaufmans erstem Stop-Motion-Animationsfilm (mit Duke Johnson) sind seine Darsteller – die handgemachten Puppen.

Die Puppen sind einfach umwerfend: Semmelbeige und mit plumpen Unterleibern bewegen sie sich schleppend durch die Hotelgänge. In ihren Gesichtern sieht man noch die Nähte, die ihren Kopf zusammenhalten, doch das macht nichts: Sie wirken geradezu unheimlich realistisch – in ihrem biederen Normalo-Outfit, dem Bauchansatz und dem niedergeschlagenen Gesichtsausdruck. Manchmal vergisst man beinahe, dass es sich um Puppen handelt (etwa während einer Sexszene, die dem Film ein R-Rating bescherte).

Es wäre nicht Charlie Kaufman, Mastermind legendärer Filmdrehbücher wie "Being John Malkovich" oder "Vergiss mein nicht!", würden nicht alle Beteiligten an handfesten Neurosen laborieren.

Nicht ganz zufällig steigt der Familienvater Michael Stone, Autor eines Bestsellers zum Thema "Kundenservice" (!), im Hotel "Fregoli" ab. Er leidet nämlich unter dem sogenannten "Fregoli-Syndrom": Die Menschen in seiner Umgebung erscheinen ihm alle trostlos gleich, ebenso deren Stimmen.

Anders als die anderen

Alle Inhalte anzeigen

In der englischen Originalfassung wird Stone vom britischen Schauspieler David Thewlis gesprochen, alle anderen Nebenfiguren, Männer und Frauen, von Tom Noonan.Im Hotel lernt Stone einen Fan seiner Bücher kennen, die unscheinbare Angestellte Lisa (gesprochen von Jennifer Jason Leigh): Ihre Stimme klingt anders – er verliebt sich auf Anhieb. Und weil Lisa anders ist als die anderen, nennt er sie "Anomalisa".

Abgesehen von der verzwickten Annäherung zwischen Stone und seiner schüchternen Affäre, hat Charlie Kaufman auch ein wunderbares Händchen für die Spitzfindigkeiten des urbanen Alltags: Sei es der Kampf mit dem Duschkopf in fremden Hotelzimmern, das zermürbende Gequatsche von aufdringlichen Taxifahrern oder die schweißnasse Pratze des Sitznachbarn im Flugzeug, der sich vor dem Fliegen fürchtet.

Treffsicher balanciert er seine Tragikomödie zwischen Melancholie und Mühsamkeit, Absurdität und Abgrund. Berührend, witzig – und so originell, wie ein Charlie Kaufman nur sein kann.

Alexandra Seibel