AM TELEFON MIT TOM HARDY
Von Alexandra Seibel
Ein Mann steigt in sein Auto, startet an und fährt los. Es dauert einige Minuten, bis wir sein Gesicht zu sehen bekommen. Und ab dann sehen wir fast nur noch sein Gesicht. Nichts außer seinem Gesicht, sein Auto und eine nächtliche Autobahn.
Es ist Tom Hardy, dessen Mienenspiel einen ganzen Film durchträgt. Tom Hardy, der seine muskulöse Karriere in Kriegsfilmen begann, der Kampfsportler ("Warrior") spielte und Bösewichter ("Star Trek Nemesis", "The Dark Knight Rises"); und der demnächst das Erbe von Mel Gibson für eine Fortsetzung von "Mad Max" antritt.
In der Rolle des Ivan Locke packt der Brite eine andere Seite seiner ansonsten actiongeladenen Schauspielkunst aus. In einem reduzierten Kammerspiel, das sich ausschließlich in einem Auto abspielt und doch eine ganze Welt zusammenbrechen lässt.
Locke so auch der Titel des Originals sitzt hinter dem Lenkrad seines teuren BMW SUV und verlässt seine Heimatstadt Birmingham Richtung London. Er ist allein, jedoch verbunden mit der Außenwelt durch seine Freisprechanlage. Und dann geht die Telefoniererei los.
Zuerst mit dem Arbeitskollegen, dem Locke mitteilt, dass er die Großbaustelle, die er betreut, verlässt. Dann mit einer Frau, die gerade dabei ist, ein Kind von ihm zu gebären. Locke ist auf dem Weg zu ihr, um ihr beizustehen, obwohl sie ein One-Night-Stand ihm nichts bedeutet. Und schließlich die Telefonate mit seiner Ehefrau, die von den fatalen Umständen am Telefon erfährt.
All diese Stimmen füllen abwechselnd das Auto, und es ist kaum eine dabei, die nicht ausflippt. Einzig Locke versucht, seinem Selbstbild als solidem Mann gerecht zu werden: In betont ruhigem Tonfall bemüht er sich um Krisenmanagement und bemerkt nicht, dass gerade seine große Umsicht den Einsturz beschleunigt.
Steven Knight, profilierter Drehbuchautor von Meisterwerken wie David Cronenbergs "Tödliche Versprechen", verfilmte sein eigenes Script. Und genau dort liegen auch kleine Schwächen. Knights Figuren neigen zur Übersteuerung: So lässt er Locke Hasstiraden gegen seinen toten Vater fluchen, den er sich auf dem Hintersitz als Mitfahrer vorstellt. Die gesamte Handlung wird getrieben von diesem (nicht sehr originellen) ödipalen Konflikt, der noch dazu überdeutlich ausbuchstabiert wird.
Die Kamera macht jedoch viel von dem wett, was an Worten zu viel verloren wird. Nachtschwarze Bilder, durchtränkt von zerronnenen, roten Rücklichtern und dem fahlen Gelb von Straßenlaternen: Sie werden stumme, mitleidlose Zeugen davon, wie das Fundament eines Lebens zerbröselt.
Und Tom Hardy? Tom Hardy implodiert hinter seinem Steuer. Sein Gesicht bleibt beinahe unbeweglich. Und trotzdem eröffnet sich dahinter der ganze Abgrund seiner verlorenen Welt.