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Altered Carbon: Visuell beeindruckendes TV-Spektakel auf den Spuren von "Blade Runner"

Digitalisierung verspricht so viele Annehmlichkeiten für alle und ermöglicht, so wenigen auch davon zu profitieren. Dieser Trend ist schon in diesem Jahrhundert evident. In der dystopischen Zukunft der Cyberpunk-Serie "Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm" hat die Digitalisierung alle Lebensbereiche durchdrungen und letztendlich sogar den Tod obsolet gemacht: Jeder Mensch hat in seinem Nacken ein "Stack" implantiert, auf dem Persönlichkeit und Erinnerung gespeichert werden. Wer stirbt, überträgt sein Bewusstsein einfach in einen neuen Körper, die sogenannten "Sleeves" (dt.: Hülle). So hat die Menschheit sogar die Weiten des Weltraums überwunden und die Galaxie besiedelt. Auf der Erde ist aber alles beim Alten: Die digitalen Möglichkeiten stehen zwar theoretisch allen offen, doch auf Dauer können sich nur die Superreichen ständig neue Körper leisten. Sie haben unendlich viel Zeit, um ihre Macht zu festigen. Der Rechtsstaat ist nur noch eine Fassade. Die "Meths" (von "Methusalem") herrschen im Hintergrund über die durch und durch korrupte Gesellschaft.

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In dieser Welt wacht Takeshi Kovac (Joel Kinnaman) auf. Er ist der letzte "Envoy", Kämpfer einer Widerstandsbewegung gegen die Anfänge der dekadenten Weltordnung der Unsterblichkeit. Doch die Rebellion wurde vor 250 Jahren niedergeschlagen. Seit damals war der auf den Kampf in fremden Körpern und virtuellen Realitäten spezialisierte Elite-Soldat eingelagert. Alle, die Kovac einst liebte, sind lange tot. In einem neuen Körper soll er den Mord an Laurens Bancroft (James Purefoy) aufklären, dem Mächtigsten aller Meths. Sein Auftraggeber: Bancroft selbst. Bei seiner Ermordung wurde sein "Stack" zerstört. Für normale Menschen würde das den "Real Death" bedeuten, aber Bancroft hat natürlich eine sündteure Sicherheitskopie seiner Persönlichkeit angelegt. Allerdings fehlt ihm die Erinnerung an die 48 Stunden vor seiner Ermordung. Kovac soll herausfinden, wer ihm nach dem Leben trachtet. Kovac hat wenig Ambition für einen Meth zu arbeiten. Doch die Rebellion wurde vor Jahrhunderten besiegt und Bancroft macht ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Das ist der Auftakt für einen spannenden Hard-Boiled-Detective-Krimi in einer visuell beeindruckenden Cyberpunk-Welt voller Intrige und Dekadenz. Schritt für Schritt rekonstruiert Kovac die 48 Stunden vor Bancrofts Tod. Dabei stößt er auf eine Verschwörung, die auch Ereignisse in seiner Vergangenheit wiederaufleben lässt.

" Blade Runner" und "The Matrix" kombiniert zum Cyberpunk-Krimi

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Wenn TV-Hits popkulturelle Vorfahren haben, dann sind"Blade Runner"und"The Matrix"die cineastischen Eltern des neuen Netflix-Babys "Altered Carbon". Auf den ersten Blick sind die zehn Episoden der Science-Fiction-Serie vor allem eine visuelle Augenweide: Noch nie wurde eine futuristische Welt so detailverliebt und visuell beeindruckend im Serien-Format umgesetzt. Im Science-Fiction-Genre können nur die Space-Epen "Battlestar Galactica" und "The Expanse" mit dem World-Building von "Altered Carbon" mithalten. Aber die TV-Serie auf Basis des gleichnamigen Romans von Richard K. Morgan ist kein Weltraum-Epos, sondern ein Noir-Krimi in einem futuristischem Szenario (Romanautor Morgan nennt es "Future Noir").

Alles, was ein TV-Serienhit braucht?

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Bei "Altered Carbon" hat Netflix geklotzt und nicht gekleckert. Die Science-Fiction-Serie hat alles, was ein TV-Hit braucht, seit "Game of Thrones" die Latte deutlich höher gelegt hat. Oberflächlich betrachtet sind das vor allem drei Zutaten: Sex, Gewalt und Intrige. Dafür musste schon "Game of Thrones" Prügel einstecken, wobei in den USA eher der Sex, in Europa eher die Gewalt im Fokus der Kritik steht. Das ist natürlich legitim. Und das Kalkül von Netflix damit Quote zu machen, kann sicher nicht geleugnet werden. Doch in "Altered Carbon" stehen eben diese menschlichen Körper und ihre Entwertung im Mittelpunkt der Story: Körper, Geschlecht, Sex und Gewalt sind hier tatsächlich auch Teil der Geschichte, bei der es darum geht, was denn eigentlich unsere Menschlichkeit ausmacht. Was gibt dem Leben seinen Wert? Ist es unsere Seele? In "Altered Carbon" sind die Neo-Katholiken die letzten Menschen, die sich ihre Sterblichkeit rechtlich abgesichert haben, weil sie glauben, dass nur der "Real Death" die Himmelspforten öffnet – oder ein würdiges Menschenleben überhaupt ermöglicht. Denn wie in der Serie einmal erwähnt: "Unsterblichkeit korrumpiert die besten von uns." Die übertriebene Gewalt einer dekadenten, ewig lebenden Elite gegenüber dem menschlichen Körper ist in "Altered Carbon" auch ein Stilmittel und Metapher der strukturellen Gewalt, die Armut und Ungleichheit in einer Gesellschaft erzeugt. Für die superreichen Meths sind Körper kostspielige, aber ersetzbare Ressourcen. Aber Mord ist unter dem Titel "Organic Damage" immer noch strafbar. Sie leisten sich das Vergnügen trotzdem. Warum es so oft sexuelle Gewalt gegenüber Frauenkörpern sein muss, ist allerdings ein berechtigter Kritikpunkt.

Sex, Gewalt und Intrige

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Doch Sex, Gewalt und Intrige sind nicht alles, was "Altered Carbon" zu bieten hat. Serien-Schöpferin und Produzentin Laeta Kalogridis ("Birds of Prey", "Alita: Battle Angel") erzählt die spannende Variante einer klassischen Detektivgeschichte. Mit starken Charakteren und einer guten Besetzung. Und einer liebenswerten Detailverliebtheit. So läuft der ständig rauchende Kick-Ass-Typ Kovac bei seinen Ermittlungen mit einem rosafarbenen Mädchenrucksack voller synthetischer Drogen herum. Seine minimalistische Mimik erinnert an den jungen Schwarzenegger.

Kalogridis spielt mit den typischen Krimi-Settings, aber erfindet sie nicht neu. Die Story bietet überraschende Wendungen und Cliffhanger, die nach mehr verlangen lassen. Sie kombiniert alte Muster, garniert sie gekonnt mit einer Prise Familiendrama und einer unterschwelligen Love Story zwischen Kovac und dem Bad-Ass-Cop Kristin Ortega (Martha Higareda). Rund um den Hauptcharakter baut sie eine Gruppe von interessanten Nebenfiguren auf wie den virtuellen Hotelpagen im sehr speziellen Hotel "The Raven". Das hat auch HBO mit "Game of Thrones" gemacht: Altbewährtes auf höchstem Niveau zu einer faszinierenden neuen Welt zusammengefügt.

Mit "Altered Carbon" zeigt Netflix Ambition und Mut. Bei denen, die von mittelalterlichen Fantasy-Welten und Zombie-Apokalypse langsam genug haben, könnte Netflix damit einen Serienhit landen. Lediglich die Auflösung der Geschichte geht dann angesichts der akribischen Aufbauarbeit ein wenig zu schnell. Und bricht mit Erwartungen. Aber das kommt natürlich darauf an, welche Erwartungen man hat.

"Altered Carbon - Das Unsterblichkeitsprogramm" ist ab kommenden Freitag auf Netflix zu sehen.

Hier geht's zu Trailer und Featurettes von "Altered Carbon".

Erwin Schotzger